: Geldstrafen für grüne Abgeordnete
■ Erste Verurteilungen wegen eines Transparents mit der Aufschrift „Volkszählungsboykott“
Aus Bonn Ursel Sieber
Sieben grüne Abgeordnete sind gestern zu Geldstrafen zwischen 6.000 und 8.000 DM verurteilt worden, weil sie im Februar dieses Jahres vor dem Bundestag ein Transparent mit der Aufschrift „Volkszählungsboykott“ enthüllt haben. In dieser Aktion sah die Richterin am Bonner Amtsgericht, Baums–Stammberger, einen Aufruf zu einer „strafbaren Handlung“ und einen Verstoß gegen §116 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes. Die Aufforderung sei öffentlich gewesen, weil sie durch die Medien an einen „unbestimmten Personenkreis“ verbreitet worden sei. Besonders schwerwiegend wertete die Richterin die Tatsache, daß es sich um Abgeordnete des Bundestags handelte, die den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie „besonders verpflichtet“ seien. Damit hat das Gericht die Argumentation der Staatsanwaltschaft Bonn voll übernommen. Die Grünen werteten die Entscheidung als politisches Urteil: „Es sollte ein politisches Exempel statuiert werden, um diejenigen, die jetzt noch zögern, davon abzuhalten“ (Waltraud Schoppe). Gegen das Urteil soll Rechtsbeschwerde eingelegt werden. In dem Verfahren bekannten sich die Grünen nicht offensiv zum Volkszählungsboykott: So sagte Regula Bott, es habe sich beim Hochhalten des Transparents „um ein politisches Bekenntnis“ gehandelt; Bekenntnisse seien ihrem Charakter nach öffentlich, und sie könne nicht nachvollziehen, wie die Staatsanwaltschaft daraus einen Aufruf konstruieren konnte. Der grüne Justitar Uwe Günther betonte, der Begriff Boykott sage nichts über den Charakter der Handlung aus. Aus dem Begriff „Volkszählungsboykott“ könne ein Aufruf nur dann abgeleitet werden, wenn die Staatsanwaltschaft gleichzeitig auf grüne Flugblätter verweise, die an jenem Ort allerdings nicht verteilt worden seien. Hochnotpeinlich war jedoch, daß sich manche dabei wie die Unschuld vom Lande präsentierten: „Wir fanden, eine neue Gruppe muß sich zusammenfinden“ (Helga Brahmst–Rock) oder: „Ich bin neu und wußte nicht, daß da soviel Presse ist“ (Imma Hillerich).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen