: Unabhängige Friedensdemo in der DDR–Hauptstadt
■ BERICHT AUF SEITE 11 „Witze werden erst wieder zugelassen, wenn der Imperialismus besiegt ist“ „Freiheitlich–dümmliches Lachen bleibt für uns untrennbar mit den Grundrechten verbunden“Fotos: ap/Klaus Hoffmann „Nimm uns mit!“ Tausende von Werktätigen bereiteten dem Staatsratsvorsitzenden vor seiner Ausreise in die BRD einen herzlichen Abschied. Eine herrliche Revue der Freude, des Frohsinns, des Stolzes und der Zukunftsgewißheit. Siehe auch ND–Seite 1 Hauptstadt–TAZ Die Westberliner Tageszeitung „AZ“ eröffnete im Beisein von Außenminister Oskar Fischer ein Büro im Prenzlauer Berg. Siehe auch ND–Seite 2 Beifall für Endler Der erste Kabarettist der Republik las ein Kapitel aus seinem Buch „Schichtenflotz“ und erntete dafür herzlichen Beifall. Siehe auch ND–Seite 6
Bonn (ADN) - Der Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzende der Deutschen Demokratischen Republik, Erich Honecker, trifft heute zu einem offiziellen Besuch in der Hauptstadt der BRD ein. Der Staatsratsvorsitzende folgt damit einer Einladung von BRD–Kanzler Helmut Kohl, die schon dessen Amtsvorgänger Helmut Schmidt (SPD) 1981 ausgesprochen hatte. Erich Honecker trifft mit einem Sonderflugzeug der DDR–Gesellschaft Interflug um 10.00 Uhr auf dem Köln/Bonner Flughafen ein und wird dort vom Chef des BRD–Kanzleramts Wolfgang Schäuble empfangen und später zu einem mehrstündigen Gespräch mit Kohl zusammentreffen. Der Besuch des Staatsratsvorsitzenden wurde von den sozialistischen Bruderländern uneingeschränkt begrüßt. Das Zentralorgan der KPdSU „Prawda“ hob in einem Kommentar mit dem Titel „Vor dem Dialog“ den sachlichen Charakter des Besuchs Erich Honeckers hervor. Dieser sei möglich geworden durch die positiven Veränderungen der internationalen Lage, die auf die Friedensinitiativen des Warschauer Vertrages zurückgingen. Die DDR sei ein zuverlässiges Glied der sozialistischen Staatengemeinschaft. Die Existenz von zwei unabhängigen und gleichberechtigten deutschen Staaten sei eine unumkehrbare Tatsache. Als „historisches Ereignis von europäischem Ausmaß“ hoben Kommentatoren in der Volksrepublik Polen den Besuch hervor. Im Mittelpunkt der Gespräche in der BRD–Hauptstadt werden neben der internationalen Lage und der Ost–West–Situation Fragen des Reiseverkehrs, der wirtschaftlichen Beziehungen und des Verkehrsausbaus stehen. In Anwesenheit Erich Honeckers und des BRD–Kanzlers werden am Dienstag Abkommen über den Umweltschutz, technisch–wissenschaftliche Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zur Reaktorsicherheit in Kernkraftwerken unterzeichnet. BRD–Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble hielt in einem Interview mit dem westdeutschen „Hessischen Rundfunk“ an überkommenen Positionen fest. Wenn die BRD–Regierung den Weg der Zusammenarbeit mit der DDR fortsetzen wolle, dürfe sie nicht den Eindruck erwecken, einen deutschen Sonderweg zu beabsichtigen. Eine Veränderung des Status der selbständigen Einheit Westberlin käme nicht in Frage. Schäuble äußerte außerdem, er wolle auch den Einsatz von DDR–Grenztruppen am Antifaschistischen Schutzwall ansprechen. BRD–Kanzler Kohl werde darüber mit dem DDR– Staatsratsvorsitzenden sehr offen reden. BRD–Außenminister Hans–Dietrich Genscher bezeichnete den Besuch als einen „tiefen Einschnitt“ in der Nachkriegsgeschichte. Bei der Visite sei jedoch „kein Platz für illusionäre deutsch–deutsche Koketterien“. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Hans–Jochen Vogel, äußerte sich mit Genugtuung zu dem Besuch des DDR– Staatsratsvorsitzenden. Vogel sprach sich für einen „systemöffnenden Wettbewerb“ und eine „systemöffnende Zusammenarbeit“ zwischen der BRD und der DDR aus. Die Partei „ Die Grünen“, deren Fraktionsvorstand am Dienstag mit Erich Honecker zusammentreffen wird, forderte die anderen BRD–Parteien zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR und zum Verzicht auf eine „Wiedervereinigung“ auf. Trotz der wiederholten Bereitschaft des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, zu einer Politik des friedlichen Dialogs zwischen Kapitalismus und Sozialismus geben revanchistische Kräfte in der BRD ihre Propagandafeldzüge gegen die DDR–Regierung nicht auf. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im BRD– Bundestag, Alfred Dregger, kündigte gegenüber BRD–Medien an, er wolle von Erich Honecker die Aufhebung der unbedingten Verteidigungsbereitschaft der DDR–Grenztruppen verlangen. Laut Angaben der CDU–Jugendorganisation, „Junge Union“, will sich BRD–Arbeitsminister Norbert Blüm in innere Angelegenheiten der DDR einmischen. Die Bonner Polizei hat einer revanchistischen Gruppe das Zeigen DDR–feindlicher Transparente zum Besuch von Erich Honecker verboten. Honecker wird bei seinem Besuch von SED–Politbüromitglied Günter Mittag, Außenminister Oskar Fischer, Außenhandelsminister Gerhard Beil, dessen Stellvertreter Kurt Nier und dem Leiter seiner Staatskanzlei Frank–Joachim Herrmann begleitet. An den Gesprächen im Kanzleramt werden für die DDR ferner ihr Ständiger Vertreter in Bonn, Ewald Moldt, sowie aus dem Außenministerium die Botschafter Ernst Krabatsch und Karl Seidel beteiligt sein.
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