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Demo in Polen gegen Atommüll–Depot

■ Alte Bunker der Wehrmacht in Westpolen sollen für Ost– und West als Atommüllager dienen / Polizei ließ 3.000 Demonstranten während des Marsches unbehelligt / Festnahmen nach der Kundgebung / Geplantes Atom–Depot würde auch Grundwasser in Berlin gefährden

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - „Wir wollen kein zweites Tschernobyl“ skandierten am Sonntag rund 3.000 Demonstranten in der westpolnischen Stadt Miedzyrzecz und forderten einen sofortigen Stopp für das erste polnische „Entsorgungslager“ für Atommüll. Das Endlager, für das jetzt die Planung abgeschlossen wurde, soll in früheren Bunkern der deutschen Wehrmacht unweit der Stadt errichtet werden. Die Polizei griff während der von der polnischen Bürgerrechts– und Umweltschutzbewegung „Freiheit und Frieden“ un terstützten Aktion nicht ein, nahm jedoch nach der Kundgebung einige Teilnehmer fest. Daraufhin formierte sich ein Zug von einigen hundert Demonstranten zur Polizeiwache des Ortes, die die Freilassung der Festgenommenen forderten. Diese Kundgebung wurde von der Polizei aufgelöst. Schon seit Wochen und Monaten knistert es in der Region. Selbst die Ortsvereine regierungsfreundlicher Organisationen wie die „Patriotische Bewegung zur Erneuerung der Nation“ (PRON) hatten sich gegen das Projekt ausgesprochen. Die Bevölkerung fürchtet die durch das Atom–De pot entstehenden Gefahren für das Trinkwasser der ganzen Region, die bei einer Verwirklichung der Pläne der Regierung entstehen könnten. In der Umgebung ansässige Bauern drohten in den letzten Wochen sogar mit der Flutung der alten Wehrmachtsbunker, worauf die Regierung eine erneute Untersuchung des Falles zugesagt hatte. Denn die Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg sind nach Ansicht der Kritiker derart verrottet, daß bei einer Lagerung von Atommüll unweigerlich kontaminiertes Wasser in das Grundwasser einsickern und somit das Oderflußsystem gefährden würde. Polnische Wis senschaftler wiesen sogar daraufhin, daß es Grundwasserverbindungen bis nach Berlin gibt und damit das Projekt auch für die Trinkwasserversorgung der kaum 150 Kilometer entfernt liegenden Stadt zum Problem werden könnte. In den Bunkern soll zunächst der Atommüll aus den polnischen Atomkraftwerken eingelagert werden. Darüberhinaus liebäugelt die polnische Regierung offenbar mit dem Gedanken, sie als Devisenbringer einzusetzen. In Kreisen der polnischen Opposition kursiert sogar die Behauptung, den eigentlichen Anstoß für die Lagerpläne in Miedzyrzecz hätten entsprechende Anfragen westlicher Staaten gegeben, auch aus der Schweiz und der BRD. Unterstützung erhalten die örtlichen Aktivisten aus ganz Polen, besonders aus Poznan (Posen) und der Umgebung der Stadt, in der auch das zweite polnische Atomkraftwerk nahe dem Dorf Klempicz errichtet werden soll. Die „Bewegung Freiheit und Frieden“ bemüht sich auch darum, Solidarität für den Kampf gegen die „Atomaufrüstung“ Polens in den Nachbarstaaten zu erhalten, in der DDR und der CSSR, aber auch in der BRD und West–Berlin.

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