Nachsicht mit Putschisten in Manila

■ Regierung Aquino kommt den Militärs entgegen / Reformen zurückgestellt / Aus Manila Gebhard Koerte

Nach dem Putschversuch des Oberst Honasan auf den Philippinen Ende August hat sich die Lage noch nicht wieder beruhigt. Der Oberst ist weiterhin flüchtig, die Zahl der rebellierenden Truppen hat sich erhöht. Dennoch wurde der Schießbefehl gegen Honasan aufgehoben und dem Militär Konzessionen gemacht. Soziale Reformen werden jedoch nicht in Angriff genommen. Deshalb wollen die Gewerk

Zwölf Tage nach dem vorerst gescheiterten Staatsstreich auf den Philippinen hat sich der beißende Pulverdampf verzogen. Aber nur scheinbar ist der Alltag in die Hauptstadt zurückgekehrt. Die Mienen vieler Bewohner Manilas sind ernster als gewöhnlich, immer noch werden die Ereignisse der vergangenen Woche ausgiebig diskutiert. 55 Tote und etwa 300 Verletzte, überwiegend Zivilisten, Sachschaden in Millionenhöhe, so lautet die vorläufige Bilanz des fünften Putschversuches gegen Präsidentin Aquino. Die Scharmützel in der Hauptstadt haben aber auch von drängenden wirtschaftlichen Sorgen abgelenkt und die Kampagne der Linken gegen die Öl– und Benzinpreiserhöhung zum Einsturz gebracht. Die kritische Situation dauert jedoch noch an. Der Putschführer Honasan ist weiterhin auf freiem Fuß. Einer Reihe weiterer Offiziere und vielen Soldaten gelang es, sich der Festnahme zu entziehen. Sie versuchen offensichtlich, sich in Zentral– und Nordluzon, nördlich von Manila, neu zu formieren. Zur Verstärkung der Verteidigungsstellungen in der Hauptstadt ließ die Militärführung inzwischen ein drittes Bataillon Marineinfanteristen aus der südlichen Insel Mindanao einfliegen. Die Streitkräfte befinden sich noch immer im Alarmzustand. An allen wichtigen Ausfallstraßen der Metropole wurden Straßensperren errichtet, an denen schwerbewaffnete Soldaten postiert sind. Mehr als zehn Hubschrauber fliegen täglich Aufklärungseinsätze, um die noch flüchtigen Putschtruppen aufzuspüren, bislang ohne Erfolg. Die Rebellenarmee ist trotz der Inhaftierung von 800 Putschisten erneut auf fast 2.000 Mann angewachsen. Sie wurde durch Verbände verstärkt, die in den Provinzen nördlich der Hauptstadt Militärcamps und zivile Dienststellen unter ihre Kontrolle gebracht hatten und von Regierungstruppen vertrieben worden waren. Auch der berüchtigte Oberstleutnant Rodolfo Aguinaldo, zahlreicher Menschenrechtsverletzungen beschuldigter Kommandeur der paramilitärischen Verbände im Cagayan–Tal, soll sich mit ihm ergebenen Truppen „Gringo“ Honasan, seinem Klassenkameraden aus gemeinsamen Militärakademietagen, angeschlossen haben. In einem Gespräch mit der taz hatte er schon zu Beginn des Jahres angekündigt, er werde wohl bald mit seiner eigenen Armee den Kampf gegen die Aquino–Regierung aufnehmen. Aguinaldo ist ebenso wie Honasan ein maßgebliches Mitglied der „Reformbewegung der Streitkräfte“ RAM, die den Sturz des Diktators Marcos anführte. Putschoberst Gregorio Honasan kann sich ungeachtet der Fahndung offenbar frei bewegen. Am vergangenen Mittwoch soll er sich, so unglaublich es klingt, in Makati, dem Geschäfts– und Finanzviertel im Zentrum der Hauptstadt aufgehalten haben, so berichtet der militärische Geheimdienst. Vielleicht hat er hier seine Tonbandbotschaft gesprochen, die später den Medien zugespielt und am Samstag über einen privaten Rundfunksender ausgestrahlt wurde. Honasan warf darin der Präsidentin „Verrat an der Februar–Revolution“ vor (im Februar 1986 war der Diktator Marcos gestürzt worden). Honasan versprach weiterhin, den Kampf gegen die „fehlgeleitete und unfähige Führung“ der Präsidentin fortzusetzen. Die Angehörigen der Streitkräfte rief er auf, sich seiner Initiative für „eine neue Richtung“ anzuschließen. Er verurteilte die Freilassung politischer Gefangener nach Aquinos Amtsantritt, die „Hexenjagd gegen Menschenrechtsverletzungen des Militärs“ und „nutzlose Verhandlungen mit kommunistischen und muslimischen Aufständischen“. Die Politik der Präsidentin Aquino gegenüber den Putschisten ist widersprüchlich. Auf dem Höhepunkt der Krise hatte sie den bedingungslosen Angriff gegen die „Verräter“ befohlen und harte Strafen in Aussicht gestellt. Doch wie nach allen vorangegangenen Putschversuchen werden auch jetzt wieder die harten Bandagen gegen Samthandschuhe eingetauscht. Die Anzeichen mehren sich, daß man zumindest den Mannschaftsdienstgraden „Befehlsnotstand“ zubilligt und Straffreiheit zugesteht. Der Schießbefehl gegen Honasan wurde aufgehoben. Für den Fall einer Kapitulation hat man ihm Sicherheitsgarantien angeboten und ein faires Verfahren versprochen. Die Regierungstruppen wurden angewiesen, bewaffnete Zusammenstöße mit Rebellensoldaten zu vermeiden und Blutvergießen zu verhindern. Kommentatoren großer Zeitungen fragen inzwischen, ob die Verschwörer nicht trotz „Niederschlagung der Rebellion“ zumindest partiell ihr Ziel erreicht haben. Sowohl der Kongreß als auch das Kabinett haben sich unter Zurückstellung der dringenden Tagesordnungspunkte „Landreform“ und „Ölpreiserhöhung“ ausführlich mit den Forderungen der Putschisten befaßt. Das Repräsentantenhaus will den Sold der Armeeangehörigen um durchschnittlich 60 Prozent erhöhen und allen Regierungsangestellten ein 13. Monatsgehalt gewähren. Darüber hinaus zeichnet sich im Kongress eine breite Mehrheit für eine überdurchschnittliche Erhöhung des Verteidigungsetats auf Kosten anderer Bereiche im Haushaltsjahr 1988 ab. Damit würden Forderungen der Streitkräfte nach verbesserter Ausrüstung und Mobilität erfüllt. Die politischen Entscheidungen und Ereignisse in der Woche nach dem Umsturzversuch deuten darauf hin, daß Aquinos Politik der Nationalen Aussöhnung gescheitert ist. Die Interessen der Landbesitzer und Industriellen stehen unvereinbar den Bedürfnissen von 70 Prozent der Bevöl kerung, die unter dem Existenzminimum leben müssen, gegenüber. Für diese Menschen sind eine schnelle umfassende Landreform, die Anhebung der Mindestlöhne und die Begrenzung des Schuldendienstes kein Gegenstand kontroverser Debatten, sondern eine Frage des Überlebens. Zwar ist mit Medardo Roda auch der letzte widerrechtlich inhaftierte Streikführer (gegen Kaution) wieder auf freiem Fuß, doch das Verhältnis der Regierung zu den militanten Gewerkschaften ist auf einem Tiefpunkt angelangt. In den Verwaltungen breitet sich der alte Schlendrian wieder aus. Bestechung, Korruption, Postengerangel und dubiose Affären dringen selbst aus der engeren Umgebung der Präsidentin an die Öffentlichkeit. Schlüsselfiguren der Marcos–Ära wurden begnadigt, Wirtschaftskollaborateure des abgesetzten Diktators haben sich die Rückkehr an die Schalthebel ihrer Imperien freigekauft. Am Freitag ließ Präsidentin Aquino den Streitkräften freie Hand, „jede Art von Angriffen, Razzien und Offensiven, egal welchen Ausmaßes, gegen alle Sorten von Aufrührern und Gesetzesbrechern zu entfesseln“. Schockierte Phillipinos kommentierten: „Deja Vu“. Auch in diesem Punkt war der Putsch also erfolgreich.