piwik no script img

D O K U M E N T A T I O N „Die Regierung verdient bekämpft zu werden“

■ Rede des Grünen Abgeordneten Thomas Ebermann gestern im Rahmen der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, Herr Bundeskanzler: Es gibt viele Leute - wir zählen uns dazu - in diesem Staat und in der DDR, die alle möglichen Wünsche und Sehnsüchte haben, aber nicht den Ihren nach Wiedervereinigung. Diese Menschen wünschen sich ein Leben ohne materielle Sorgen und Not, ein Leben ohne Angst vor dem Krieg. Sie wünschen sich eine saubere und menschengerechte Umwelt, und sie wünschen sich selbstverständlich mehr demokratische Rechte und Freiheiten. (...) Und wenn Herr Blüm nach Südafrika reist, dann reist er in ein Land, das in der gesamten südlichen Hemisphäre daß zweitbeliebteste ist, in das bundesdeutsches Kapital investiert wird, in ein Land, in dem es nach wie vor eine geradlinig ansteigende Linie bundesdeutscher Investitionen gibt. (...) Und wenn Herr Blüm nach Südafrika reisen sollte, dann soll er sich einmal das Hauptquartier der südafrikanischen Streitkräfte zeigen lassen. Er soll sich einmal erkundigen, aus welcher Nation denn daß Gerät kommt, mit dem den Schwarzen, die in Kampfmaßnahmen verstrickt wurden, die Fingerabdrücke abgenommen werden. Mutig ist nicht, gegen Folter, Rassismus und Willkür zu protestieren - daß ist selbstverständlich -, mutig ist, jene anzuklagen, die in der Bundesrepublik zur Aufrechterhaltung dieser Zustände beitragen. (...) Im letzten Sommer war nicht Menschlichkeit das Motto wie in diesem, sondern die Predigt der ganzen staatlichen Härte gegen Flüchtlinge bzw. Asylsuchende. Alle, die damals Worte geprägt haben wie „Asylantenschwemme“ und ähnliche rassistische Kampfbegriffe, sollen sich heute fragen, ob sie durch das von ihnen mitgeschürte Klima möglicherweise eine Mitverantwortung tragen, daß ein ausländischer vermeintlicher Ladendieb im Beisein von mindestens 20 einkaufenden und zuschauenden Deutschen öffentlich vom Kaufhauspersonal erwürgt werden konnte. Faktisch war die unmenschliche Kampagne des letzten Sommers erfolgreich. Während die Öffentlichkeit diskutiert, ob 14 chilenischen Widerstandskämpfern Asyl angeboten werden soll, werden in diesem Jahr 40.000 Menschen weniger als im Vorjahr auf ihrer Flucht vor Elend und politischer Verfolgung die Bundesrepublik erreichen. (...) Ich hoffe, daß es kein Reinfallen auf das Spiel mit Stimmung gibt, das Umweltschutzmaßnahmen andeutet, sie aber nicht einhält. Ich hoffe, daß die Leute nicht unbesorgt sind, nur weil sie sehen: Der Kanzler haut einen Liter Milch weg nach Tschernobyl, der bayerische Umweltminister löffelt ein paar Löffel Molkepulver, die Sozialdemokratie macht Benefizfischessen trotz der Würmer. (...) Diese Regierung macht eine Politik im Faktischen, in den Grundwerten und in den Interessen, die auf Umweltzerstörung, auf internationale Eroberung von Weltmärkten ohne jede Rücksicht und auf Militarisierung zielt; diese Regierung verdient es, bekämpft zu werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen