: Urenkel Erich meets Urgroßvater Karl
Trier (taz) - „Nein, nein“, der stellvertrende Juli–Landesvorsitzende aus Rheinland–Pfalz, Jürgen Potratz, winkt ab, „wir machen keine Propaganda für die Thesen von Karl Marx. Nur, wenn man schon das Karl–Marx–Haus besichtigt, sollte man sich auch mit dem beschäftigen, was der gesagt hat. Wir wollen nur auf die Widersprüche aufmerksam machen.“ Mit einem großen Bild des Kopfes von Karl Marx und der Frage „Erich, was habt ihr aus mir gemacht“ auf einem Transparent stehen die Julis (Jungen Liberalen) im Palastgarten vor dem barocken kurfürstlichen Palais und warten auf Erich Honecker. Der hat sich an diesem Tag etwas verspätet. Wegen zu dichten Nebels kamen die Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes aus dem Dillinger Loch nicht hoch, und so mußte man mit dem Auto den Weg nach Trier bewältigen. Für den Staats ratsvorsitzenden gerade recht. Denn Honni fliegt nicht gerne. Am liebsten, so erzählt der rheinland– pfälzische Regierungssprecher Hans Schreiner, würde der Gast mit dem Auto fahren. Dann ist es endlich soweit. Der Konvoi von rund 50 Fahrzeugen braust vor das Portal. Im einem riesigen alten 600er Pullmann von Benz fährt der Staatsratsvorsitzende vor. Er wird schnell erkannt. „Da ist er. Der hockt ja ganz allein dadrin, der Arme.“ Nur wenige Schaulustige aus Bevölkerung und Touristen haben sich bis zu den weiträumigen Absperrungen gewagt. Die meisten unter den Zaungästen wollen Erich eher ihre ablehnende Haltung gegenüber dem DDR–System „irgendwie deutlich machen“. Mal sind es ein paar Ex–Häftlinge, mal ein paar CDU–Mitglieder, mal Mitglieder der rechten internationalen Gesellschaft für Men schenrechte. Bernhard Vogel, Ministerpäsident von Rheinland– Pfalz, wird dem Gast aus der DDR gleich eine Schreibtischgarnitur aus Sodalith, einem blauen Edelstein aus Kirschweiler bei Idar– Oberstein schenken. Natürlich fehlen auch nicht rund 100 Petitionen zur Familienzusammenführung, die Vogel an den SED–Generalsekretär weiterreichen wird. Erich Honecker bringt ein Kaffeeservice aus Meißen mit. Viel geredet, und das fällt auf, wird zwischen Gast und Gastgeber eigentlich nicht. Vom Kurfürstlichen Domizil geht es dann zur römischen Porta Nigra, dem Wahrzeichen der Stadt. Die Innenstadt ist an diesem Tag abgesperrt. Selbst die Linienbusse dürfen nicht ihre gewohnte Route benutzen. Wegen der Verspätung geht es in Schnelldurchfahrt durch die malerische Stadt. Vor der Porta haben zum ersten Mal auch die DKPler eine Chance, ihren Honni zu sehen. „Erich Honecker, er lebe hoch, hoch, hoch“, schallt es Honecker entgegen. Der steigt aus, winkt kurz und ruft ihnen zu: „Alles Gute“. Dann ab geht es mit Karacho ab in Richtung Karl–Marx–Museum in der Brückenstraße. Dort wurde „Charly“ am 5.Mai 1818 geboren. Die Nachbarin Liselotte Theobald will Erich Honecker unbedingt einen Blumenstrauß schenken. Warum? Sie kann ihn gut leiden, und „es ist ja keiner da mit Blümchen. Der wird sich bestimmt freuen“. Doch daraus wird nichts. Die Sicherheitsbeamten lassen es nicht zu. Holger Börner, inzwischen Kustos des Hauses in der Brückenstraße, begrüßt Erich, der inzwischen nicht mehr alleine in dem schweren Wagen sitzt. Alles wirkt wie schon bei den vorigen Stationen steif und bieder. Der Generalsekretär gar macht einen unsicheren Eindruck. Schnell verschwinden sie im Karl–Marx–Haus. Im „Geburtszimmer“ des großen Mannes steht schließlich der 75jährige DDR–Urenkel Erich vor einer Büste seines politischen Urgroßvaters. Ein Adlatus reicht dem Besucher 50 rote Rosen, aber nicht etwa einen schmucken Strauß. Nein nur ein paar nackige Rosen sind es. Honecker nimmt sie und legt sie auf dem Parkettboden ab. Alles geschieht wortlos. Eine lächerliche Zeremonie, aber ohne jedes Lächeln. 35 Minuten dauert die Stippvisite dort. Die nächste Station ist das Landesmuseum. Dort wird getafelt. Von allen Landtagsparteien ist je ein Vertreter eingeladen. Nur die Grünen wurden mal wieder nicht berücksichtigt. Ihr Landesvorstandmitglied Dieter Sinhart begehrt dennoch Einlaß. Vergeblich. Felix Kurz
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