Grenzüberschreitendes Händeschütteln

■ Das Ende eines Medienereignisses: Erich Honecker kehrt heute in sein reales Heimatland zurück

Ein historisches Ereignis - ein Resümee des BRD–Besuches von Erich Honecker, das man im Grunde schon vorher ziehen konnte. Eine Herausforderung an Journalisten - über soviel Nichtgesagtes, Nichtberedetes mußte berichtet werden. Der rote Faden, der sich durch alle Stationen des Staatsbesuches zog, war wohl eher ein roter Teppich, der allenthalben ausgerollt wurde: in Bonn ebenso wie in Essen und Trier, wo Honecker das Geburtshaus von Karl Marx besuchte.

Es sei „keine Sternstunde“ deutsch–deutscher Beziehungen, meinte der frühere „Ständige Vertreter“ in Ost–Berlin und SPD–Politiker Klaus Bölling, „das wäre ganz unrealistisch“. Aber dennoch ist es ein „tiefer Einschnitt“: Zum ersten Male in der bald 40jährigen Geschichte des deutschen Nebeneinanders konnte der Repräsentant des einen realen Staates mit allem diplomatischen Zeremoniell als Staatsgast im Nachbarland empfangen werden. Dies allein ist ein Datum, das in die Geschichte eingehen wird, wenn es auch eigentlich zur „neuen Ostpolitik“ und zum Grundlagenvertrag der 70er Jahre hinzugehört. Um dieses Ereignis würdig zu begehen, absolviert der 75jährige Staatsratsvorsitzende ein umfängliches Besuchsprogramm, das immer wieder dieselbe Szene zeigt: Von der Polizei weiträumig gegen jeglichen Kontakt mit Leuten abgeschirmt, landen die Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes beziehungsweise quietschen die Bremsen der Vorauswagen, und dann kommt die Kradstaffel, hinter ihr die West–Staatskarosse mit dem Ost–Wimpel. Landauf, landab werden die roten Teppiche entrollt, der Staatsgast steigt aus, wird umringt von seinem Troß, der den 30 Regierungs–Fahrzeugen hinter ihm entsteigt. Honecker schüttelt Hände, ein freundlicher Blick zur Pressetribüne, die Kameras surren, hier und da das stereotype freundliche Winken, dann dreht der hohe Gast den Rücken und verschwindet hinter die geschlossenen Türen zu seinen Gesprächspartnern. Über 2.000 Journalisten fahren mit, um sich diese Szene immer wieder anzusehen. „Seine Exzellenz der Generalsekretär des Zentralkomitees...“ tituliert das Protokoll der Landesregierung Rau den kommunistischen Gast, im Schloß Benrath gibt es Lauch– Suppe und rheinischen Sauerbraten. Und was wird hinter den verschlossenen Türen beredet? Wahrscheinlich nichts von Bedeutung. Immer wenn Beteiligte oder Pressesprecher nach einer der Begegnungen den drängenden Journalisten ganz informell berichten wollen, was denn unter vier, acht oder wer weiß wieviel Augen beredetet wurde, dann hagelt es interessante Themen, über die nicht geredet wurde. Die ganze bundesdeutsche Machtelite ist angetreten, dem Staatsgast zum Small–talk die Hand zu schütteln. Am Dienstag vormittag fuhren mindestens 60 Chauffeure in blitzenden Karossen ihre Herren zum Sauerbraten auf Schloß Benrath vor; unter ihnen der frühere Bundeskanzler Schmidt, der es sich nicht nehmen ließ, auf dem roten Teppich staatsmännische Gelassenheit zu demonstrieren. Die Arbeitergeschichte behandelte der ranghöchste deutsche Kommunist wie einen toten Hund: zwei kurze Ausflüge in Gedenkhäuser, Engels und Marx, mehr war einfach nicht drin. Am Dienstag nachmittag hatte er derweil viel Zeit, um über 150 Gästen in der Kruppschen Villa Hügel die kapitalkräftigen Hände zu schütteln. Recht unmotiviert waren zwischen den feinsten Herren von der Ruhr und den Chefredakteuren von Zeit und Welt auch zwei Gewerkschaftsoberfunktionäre geladen. Die Fernseh–Journalisten, die als einzige zugegen sein durften, konfrontierten den IG Metall–Chef Steinkühler mit der bekannten pi kanten Reminiszenz, daß Honecker als Jungkommunist in der Nazizeit ausgerechnet in Essen den Widerstand organisierte. „Wenn irgendwo Macht ist, dann heute hier“, bemerkte Steinkühler, aber eine Metall–Arbeiter–Delegation hatte auch er nicht mitgebracht. Honecker weiß, was er dem Protokoll schuldig ist. Kapitalismus und Kommunismus mischten sich „wie Feuer und Wasser“, hatte er zu Beginn seiner Staats– Visite einmal klargestellt. Über das Bonmot wußten sich die Wirtschaftsbosse nur lustig zu machen. „Wir mischen uns ganz schön“, meinte VEBA–Chef Benningsen– Foerder, „ohne daß etwas passiert.“ Und er hatte auch ein kleines Lob für die Kombinats–Lehrer übrig: Inzwischen könne man mit ihnen richtig und ganz normal verhandeln, „wie mit einem westlichen Partner“. Der VW–Chef Dr. Hahn fand, man sei sich „sehr nahe in jeder Beziehung“, Hausherr Beitz ließ wissen, Honecker habe es in seiner Privatvilla am Rande des Parks mit Blick auf den See sehr gut gefallen. Sein Haus verteilte eine Kopie aus dem Time– Magazin mit maschinenschriftlicher Übersetzung, in der von der „seltsamen Freundschaft“ die Rede ist, von der seit dem Zusammentreffen auf dem Jagdschloß Hubertusburg die Rede sei; „nachdenklich“ habe er philosophiert: „Man stelle sich vor, ein lebenslanger Kommunist im Hause der Kanonenkönige Krupp.“ Am Dienstag abend kündigte die Fernseh–Übertragung ins Pressezentrum der Villa Hügel die Sensation an: Der Staatsratsvorsitzende selber kommt, möglicherweise, auf die Terasse der Villa zum Interview. Und er kam! Wie er das Ergebnis des Besuchs fände, wollte der neugierige Journalist wissen. „Ich möchte sagen“, begann Honecker, der Besuch habe bisher ein „gutes Ergebnis“ gehabt und werde sich „sehr gut auswirken“. Die Zusammenarbeit auf politischen, wirtschaftlichem, technologischem, kulturellem und sportlichem Gebiet würde sich verbessern, prognostiziert er. Der fragende Journalist war nicht zufrieden, wollte wissen, was dem Staatsratsvorsitzenden besonders wichtig sei. Antwort: „Die konkreten Punkte sind alle in dem gemeinsamen Kommunique enthalten - ich kann Ihnen weiteres dazu nicht sagen. Besten Dank.“ Honecker dreht ihnen wieder den Rücken zu, den die Journalisten schon zur Genüge kennen. Klaus Wolschner