Jugoslawischer Vizepräsident zurückgetreten

■ Hamdija Pozderac bestreitet aber Verwicklung in die Finanzaffäre um das größte landwirtschaftliche Kombinat, den Agrokonzern „Agrokomerc“ / Auch Ministerpräsident Mikulic soll das Geschäftsgebaren des Konzerns unterstützt haben

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Von den „illegalen Handlungen, Machenschaften und Fällen des Amtsmißbrauchs“ in Zusammenhang mit der Finanzaffäre um das landwirtschaftliche Kombinat „Agrokomerc“ habe er zwar nichts gewußt, er trete aber aus „prinzipiellen Erwägungen zurück“, erklärte der jugoslawische Vizepräsident Hamdija Pozderac am Sonnabend. Kein verantwortlicher Staats– und Parteifunktionär in Bosnien–Herzogewina oder einer der anderen Teilrepubliken sei direkt in den Skandal verwickelt, er habe nur auf grundsätzliche Art das Unternehmen ge stützt, erklärte der Vizepräsident seinen für ein kommunistisches Land beispiellosen Schritt. Damit hat der riesige Korruptionsskandal um das Agrarunternehmen sein bisher prominentestes Opfer gefordert. Da es bei der Fiananzaffäre um ungedeckte Schecks in der Höhe von 520 Millionen bis 1,5 Milliarden Mark geht und 63 Banken betroffen sind, hat sich der Skandal zu einer für das ganze Land bedeutsamen wirtschaftspolitischen Affäre ausgeweitet, die auch den jetzt noch amtierenden Ministerpräsidenten Branco Mikulic in Schwierigkeiten bringen kann. Die Belgrader Zeitung Vecernjer Novi sti schrieb am Samstag jedenfalls, der Ministerpräsident habe die Expansionspläne des Unternehmens unterstützt. Und da die jugoslawische Wirtschaft mit ihrer hohen Auslandsverschuldung, mit ihren Preissteigerungsraten von über 120 Prozent und der wachsenden Arbeitslosigkeit in einer tiefen Krise steckt, könnte solch ein Vorwurf auch für den „starken Mann“ des Vielvölkerstaats gefährlich werden. Schaut man sich die Entwicklung bei Agrokomerc genauer an - was nach den Enthüllungen der letzten Wochen und Monate leicht fällt - dann tritt die ganze Schwäche des jugoslawischen Wirt schafts– und Selbstverwaltungssystems zutage. Das ehemals gesunde Unternehmen aus dem Dorf Velika Kladusa, (rund 50 Kilometer südlich von Zagreb) mit seinen 13.500 Beschäftigten ist Großexporteur des Landes und wurde erst durch Fehlinvestitionen, Vetternwirtschaft und durch die Prunksucht der Funktionäre in den Bankrott getrieben. Der inzwischen verhaftete Direktor Fikret Abdic durfte neben anderen Privilegien jährlich vier Monate in einer Prunkvilla am Meer verleben und seine Verwandten - drei Brüder und zwei Brüder seiner Frau - an die Schaltstellen des Betriebes bringen. Zusammen mit der zweiten Familie der Region, derer von Pozderac, denen der jetzt zurückgetretene Vizepräsident entstammt, beherrschte Abdic die Region und das Unternehmen wie ein feudalistischer Potentat. Von seinen Untergebenen verlangte er entgegen allen Vorstellungen der Arbeiterselbstverwaltung unbedingten Gehorsam, im Gegenzug bot er seine väterliche Sorge an. Da mußten - auf Kosten des Unternehmens, versteht sich - bis in die kleinsten Gemeinden Straßen gebaut und geteert, Schwimmbäder mit Olympiamaßen angelegt und eine kommunale Wäscherei mit 20 Tonnen Kapazität eingerichtet werden, die die Wäsche im Umkreis von 100 Kilometern aufzunehmen in der Lage war. Um das Volk über die Wohltaten zu unterrichten, wurde sogar eine eigene Fernsehanstalt gebaut, das „Radio–Fernsehen Velika Kladusa“. Und da die Finanzmittel des Unternehmens bald nicht mehr reichten und auch beim Exportgeschäft Einbußen entstanden, mußten Kredite aufgenommen werden. Daß Abdic mit dem Mißbrauch der relativen Entscheidungsfreiheit der Betriebe auch das Ansehen der Arbeiterselbstverwaltung als ideolgischem Prinzip untergräbt, kommt dabei dem Ministerpräsidenten nicht ungelegen. Schon Mitte August hatte er die Verantwortung für die hohe Inflationsrate auf dieses System geschoben. Mikulic beklagte in einem Interview die Handlungsunfähigkeit der Regierung und fragte, „wie könnte die Regierung die alleinige Verantwortung für die Preissteigerungen haben, wenn mehrere tausend Selbstverwaltungs– und Staatsorgane Entscheidungen treffen, die die wirtschaftliche Entwicklung und die Marktverhältnisse beeinflussen?“