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I N T E R V I E W „Bei den Grünen kommt Kopf–ab–Stimmung auf“

■ Der grüne Fraktionschef in Hessen, Joschka Fischer, erläutert seine Position zum Ausstieg aus der Atomenergie: „Es geht um die Durchsetzbarkeit und nicht um das Herunterbeten“ / Der Ex–Minister zum derzeitigen Diskussionsklima bei den Grünen: „Viele halten doch aus Angst das Maul“

taz: In einem Interview hast Du die Grünen jetzt dazu aufgefordert, ihre programmatischen Positionen zu überdenken. Der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie habe sich als irreal erwiesen und gleichzeitig müsse die Position des Ausstiegs aus der NATO überdacht werden. Warum fängst Du jetzt eine solche Diskussion an? Sie spielt doch keine Rolle für die Bewertung und Analyse der katastrophalen Niederlage der Grünen in Schleswig–Holstein? Joschka Fischer: Das sehe ich anders. Die Grünen sind für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Und das heißt, sobald sie direkten Einfluß darauf haben, tun sie alles, um schnellstmöglich auszusteigen. Aber das Herunterbeten allein darf uns den Blick auf die Wirklichkeit nicht verstellen: 1. Seit Tschernobyl sind weitere AKWs ans Netz gegangen. 2. Wir haben entscheidende Wahlschlappen erlitten. 3. Die SPD rückt von ihren Nürnberger Beschlüssen ab. Es ist daher viel wichtiger, endlich die Frage der Durchsetzbarkeit zu diskutieren und nicht die nach dem sofort oder sofortigstem Ausstieg aus der Atomenergie. Das hat bei der Schleswig–Holstein–Wahl schon eine Rolle gespielt. Wir haben doch dort der SPD die Darstellung der realistischen Perspektive der Atom–Opposition im Wahlkampf überlassen. Die Forderung nach Ausstieg halte ich nach wie vor für unverzichtbar. Es geht vor allem um die Frage der Durchsetzung. Die Zeitfrage ist doch sekundär und so auch die Frage nach Tolerierung oder Koalition. Unsere Erfahrung in Hessen war, daß ein klares Bündnisangebot bedeutete, sich nur noch um die Inhalte und nicht mehr um die Form des Bündnisses zu streiten. Und das war in Schleswig– Holstein schon ein großes Problem. Wie können die Grünen aus ihrer Krise, die ja nicht neu ist, wieder herauskommen? Ist das über programmatische Diskussionen überhaupt möglich? Wir müssen zwischen Diskussionen und Beschlüssen unterscheiden. In der Partei ist aus Gründen der Ängstlichkeit, aber auch wegen des Flügelstreits eine Mentalität eingerissen, die ich als dogmatisch bezeichnen würde. Da macht Fritz Kuhn in Baden Württemberg zum Beispiel den Vorschlag der Tolerierung eines CDU–Ministerpräsidenten nebst Wahl. Man mag den Vorschlag von Kuhn falsch oder richtig finden, ich gehöre eher zu den Skeptikern, aber da kommt sofort eine Kopf–ab–Stimmung auf und man versucht, die Sache mit wohlerprobten Diskussionsmustern ad acta zu legen. So ist es bei allen anderen Diskussionen auch. Würde der NATO– Ausstieg, wenn man ihn realisiert, zu einer Verhärtung der Blöcke oder zu einer Blockauflösung führen, frage ich. Ich glaube, er würde zu einer Verhärtung füh ren und daher problematisiere ich dies. Aber eine Diskussion darüber setzt ein offenes Diskussionsklima in der Partei voraus. Im Moment haben wir das nicht und wenn jemand versucht, etwas zu problematisieren, dann heißt es sofort, das darf nicht sein, das geht an die grüne Seele. Viele halten doch aus Angst das Maul. Das finde ich für die Grünen, immerhin eine radikaldemokratische Partei, auf Dauer tödlich. Du forderst also weniger Beschlüsse und mehr Diskussion? Ich glaube, im Moment gibt es bei den Grünen einen enormen Diskussionsbedarf. Und der resultiert daraus, daß wir ja einen Sack Erfahrungen gemacht haben in den letzten anderthalb Jahren, seit Tschernobyl, seit der Niedersachsen–Wahl. Das ist bis heute nicht aufgearbeitet, genauso wenig wie das selbstverschuldete Debakel von Hamburg, das Scheitern von rot–grün bei gleichzeitig glänzender Stabilität der Grünen hier in Hessen, Schleswig–Holstein. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus, auch aus der Niederlage in der Machtfrage Atomenergie? In der Friedenspolitik wird heute über den Abzug der Mittelstreckenraketen diskutiert und nicht mehr über ihre Stationierung. Reicht es da, wenn wir die altbewährten Positionen von 1983 heute wieder herunterbeten und sie für unangreifbar erklären? Das sind Fragen, die den Kern der gegenwärtigen Wachstumskrise der Grünen ausmachen. Du warst selbst im Bundestag. Inzwischen gibt es eine doppelt so große Fraktion wie vor vier Jahren und trotzdem kommt die Fraktion politisch gesehen in der Öffentlichkeit nicht mehr vor. Wenn über die Grünen berichtet wird, dann über den Streit zwischen den Flügeln. Die neue Fraktion hat es objektiv viel schwerer. Denn natürlich trägt sie auch die Niederlagen der sozialen Bewegungen - wo es sie gab - mit. Stichwort: Atomenergie. Die Fraktion hat aber auch große Integrationsprobleme und ist dabei doch nur Spiegelbild der Gesamtpartei, denn da ist es nicht anders. Nur beim Bundesverband und beim Bundesvorstand hat man sich an bestimmte Zustände schon gewöhnt. Besonders schlimm finde ich im Moment allerdings, daß die Fraktion die Misere scheinbar auf den Fraktionsvorstand ablädt. Vor allem auf Kleinert und Schoppe, die nun wirklich diesen Karren am Rollen, parlamentarisch darstellbar halten, während Ebermann befriedigt grunzend in der Ecke sitzt und im wesentlichen die Realos machen läßt und dann destruktiv dazwischen fährt. Und die Fraktion in Bonn wird sich zusammenraufen müssen. Sie ist der wichtigste Verstärker, den grüne Politik in der Bundesrepublik hat. Und wenn der ausfällt, dann fällt das wichtigste Aggregat für die Beförderung grüner Politik aus und das darf nicht sein.

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