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„Bei unserm Preßsack is noch Fleisch drin“

■ Bayerische Genossenschaft von Biobauern und Verbrauchern erwirtschaftet drei Jahre nach Gründung einen Jahresumsatz von nahezu einer Million / „Tagwerk“ ist im Landkreis inzwischen ein Begriff und vergrößert sich / Neben Biogemüse gibts auch Rohsalami

Von Luitgard Koch

Dorfen (taz) - Die enge Landstraße windet sich durch das hügelige Isental rund 60 km hinter München. Ein Stück Bayern wie aus dem Bilderbuch: Gärten mit knorrigen Obstbäumen, Höfe mit kunstvoll geschnitzten Balkonen, weidende Kühe und Schafe. Nicht ganz so protzig wie die arrivierten oberbayerischen Touristenzentren am Alpenrand. In einer kleinen Mulde gleich an der Straße, abseits vom Dorf, liegt das Anwesen des 37jährigen Leutner Franz. Hinter dem Holzschild mit der Aufschrift „Tagwerk“ schnattert eine Gänseherde. „Den Namen hat einer mal auf einer Versammlung vorgeschlagen“, erinnert sich der 31jährige Reinhard Bloch nur noch vage. „Tagwerk“ ist die in Bayern auch heute noch gebräuchliche Maßeinheit für ein Drittel Hektar. Ursprünglich war es die Fläche, die ein Bauer an einem Tag mit dem Pferd beackern konnte, weiß der Leutner Franz. Im Landkreis Dorfen bis hinüber nach Erding, Moosburg und Landshut steht der Name für die im Frühjahr 1984 gegründete Verbraucher– und Erzeugergenossenschaft für naturgemäßes Leben. Entstanden ist das Ganze, weil man sich gesünder ernähren wollte und Kontakt zu Bauern hatte. Hauptziel ist jedoch nach wie vor, die Bauern zu unterstützen, damit sie ihre Betriebe umstellen können. „Wir stellen die Organisation, daß die Ware den Bauern abgenommen wird“, erklärt Bloch. Ein Stand von Tagwerk ist auch dabei, wenn in diesem Jahr zum ersten Mal der ökologische Landbau auf dem bayrischen zentralen Landwirtschaftsfest vertreten ist (vom 19. bis 29.9. auf der Münchner Teresienwiese, heute Eröffnung mit Strauß). Tendenz steigend Zur Gründungsversammlung der Genossenschaft trafen sich in der alten Erdinger Wirtschaft „Schmidbauer“ rund 70 Leute. Heute hat die Genossenschaft über 300 Mitglieder, die sich mit einer Einlage von mindestens 100 Mark beteiligen. Einige sind auch mit bis zu 5.000 Mark dabei. Insgesamt haben sich so über 70 000 Mark angesammelt. Die Einlage ist jährlich kündbar. Im Unterschied zur herkömmlichen Genossenschaft gibt es keine Zinsen, da nicht der wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend ist. Finanzielle Unterstützung bekam „Tagwerk“ auch vom Ökofonds der bayerischen Grünen und zwar in Form eines Zuschusses sowie eines Darlehens von jeweils 10.000 Mark. Aber nicht nur die Mitgliederzahlen, jede Woche kommt derzeit mindestens ein neues Mitglied hinzu, steigen rasant. Auch der Umsatz nimmt von Jahr zu Jahr zu. Waren es im ersten Jahr noch 200.000 Mark, konnte die Genossenschaft 1986 bereits über das Doppelte, nämlich 560.000 Mark an Umsatz vorweisen. Für 1987 rechnen die „ländlichen Genossen“ sogar mit fast einer Million. „Des schockt uns selber scho a bissel“, meint Reinhard, der sein Geld hauptsächlich in einem Münchner Taxiunternehmen verdient und mit seiner Familie auf einem renovierten Bauernhof wohnt. Die strukturelle Entwicklung hinke da schon noch etwas hinterher. Und auch die Angst taucht auf, damit dem Anspruch „alternativ“ nicht mehr gerecht zu werden. „Aber wenn ein Bauer voll von unserer Vermarktung leben will, muß diese Expansion drin sein“, wehrt Reinhard ab. Hauptsächlich jüngere Bauern nach der Hofübernahme beteili gen sich an der Genossenschaft. Manche von ihnen, wie etwa der 31jährige Peter Holzner aus Liedling, einem kleinen Dorf zwischen Erding und Dorfen, haben die Rinderhaltung wegen der Quotenregelung aufgegeben. Er liefert den echten 100prozentigen „Tagwerksschafkäse“. Häufig genug landet nämlich der nach Griechenland exportierte gelbe Kuhkäse - nach optischer Aufhellung mit Chlorophyll - als weißer Schafskäse wieder hinter deutschen Verkaufstheken. Aber auch „gstandene Bauern“ wie der 47jährige Fritz Kratzer haben ihren Betrieb umgestellt. Die Einbußen, die ihm dabei anfangs entstanden sind, konnte der Vollerwerbslandwirt teilweise durch seine Mostherstellung auffangen. Sein hochprozentiger „Neuhartinger Kräuterlikör“ ist ein Verkaufsschlager. Denn ganz so puritanisch solls nicht zugehen. Aus dem CSU–nahen Bayerischen Bauernverband ist Kratzer, noch bevor er sich den „Tagwerkern“ anschloß, ausgetreten. Engpaß beim „Bio–Bier“ Angefangen hat alles mit einem kleinen Stand auf dem Erdinger Markt. Inzwischen verkauft „Tagwerk“ auf vier Märkten der Gegend, darunter auch in Mün chen. Die „Standlfrauen und -männer“ sind mit zehn Prozent am Umsatz beteiligt. Drei Festangestellte „Tagwerker“ mit einem Stundenlohn von knapp zehn Mark gibt es inzwischen. Ein Netz von Depots, Lagern und Verteilerstellen wurde aufgebaut. „Anfang September eröffnen wir zusammen mit Moosburger Mitgliedern das Moosburger Naturhaus Kleeblatt“, verkündet die Vereinszeitung stolz. Seit April dieses Jahres gibt es nämlich zusätzlich zur Genossenschaft den Verein zur „Regionalen Förderung des ökologischen Landbaus“. Im nächsten Frühjahr ist dann ein Laden in Markt Schwaben geplant. Doch weiter wollen sich die „Tagwerker“ nicht ausbreiten. „Die Regionalität ist ein ganz wichtiges Prinzip von uns“, betont Reinhard. Neue „Tagwerks“ sollten entstehen. Und das scheint auch dringend notwendig. Schon befürchten organisch–biologisch produzierende Erzeugergemeinschaften wie etwa der bayerische Verein „Bioland“, von unzufriedenen Landwirten überrollt zu werden, die angesichts der desolaten Agrarpolitik ihr Glück als direktvermarktende Öko–Bauern versuchen wollen. Um diesen Ansturm auffangen zu können, müßte vor allem ein gut ausgebautes, regionales Vermarktungsnetz entwickelt werden. „Entsprechend unserer Vorstellung von einer dezentralen Wirtschaftsweise beziehen wir die Waren im wesentlichen nur aus dem regionalen Umfeld“, heißt es im Flugblatt „Wir über uns“. „Importiert“ wird nur, was nicht im Einzugsbereich der Region hergestellt werden kann, wie etwa Kaffee und Wein. Beim Bier, das ja schließlich in Bayern als Lebensmittel gilt, hatten die „Tagwerker“ bisher Pech. Vor einem Jahr mußten sie feststellen, daß das Biobier der Dorfener Waitlbrauerei den Namen nicht verdient. „Der Braumeister hat uns des gsteckt“, erzählt Franz Leutner. Das „Biobier“ wurde von der Sortimentsliste gestrichen. Im Moment sieht es mit dem reinen Gerstensaft schlecht aus. Der wenige unbehandelte Hopfen, der zur Bierherstellung notwendig ist, wurde bereits aufgekauft. Was jedoch bei der „Vermarktung der Region“ ansonsten geboten wird, ist erstaunlich. Von Auberginen bis zu Artischocken aus den Isarauen reicht das Angebot beim Biogemüse aus den Gärtnereien. Auch Leutner hat sich auf Gemüseanbau konzentriert. Im hinteren Teil des umgebauten Kuhstalls im Leutner–Hof, der ebenfalls als Depot und Anlaufstelle dient, baumeln die Salamis von der Decke. Ohne jegliche Zusätze und Konservierungsstoffe. „Trotzdem hält sich die Wurst genauso lang“, versichert Reinhard. Neben rohen Schinken, geräucherter Mettwurst und Hausmacher Leberwurst gehört auch der bayerische weiße und schwarze Preßsack zur „Wurstpalette“. „Bei unserem Preßsack is noch Fleisch drin und ned bloß Knorpel“, betont der „Genosse“. Ähnliche Verbraucher– und Erzeugergemeinschaften: „Wurzelwerk“, Friedrichstr. 9, 4830 Gütersloh; „Kornkraft“ Krefeld, Westpreußenstr. 32; „Bundschuh“, Baulandstr. 1, 6973 Boxberg; „Naturata“ , Tauberstr. 25, 6970 Lauda–Königshof; Bio– Kreis Ostbayern, Rosensteig 13, 8390 Passau; „Naturland“ e.V., Pasingerstr. 94, 8032 Gräfelfing, „Bioland“, Langestr. 26, 7326 Heiningen/Württ. und last but not least Verein für ökologische Landwirtschaft e.V., Barbarossastr. 61, Berlin.

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