Von der Westcoast nach Ost–Berlin

■ Bob Dylan tritt nach jahrelangem Verbot seiner Platten leibhaftig in der DDR auf

Times, they are a–changing. Die verbiestert formulierte Aufforderung „Geh doch nach drüben“ scheint jedenfalls unter Altstars und Schlagersternchen aus dem Westen nicht mehr nur pures Entsetzen auszulösen. Auf den Spuren von Katja Ebstein und Peter Maffay zog es jetzt Bob Dylan auf die andere Seite der Mauer, nachdem der mickrige Kartenvorverkauf für ein in West–Berlin geplantes Konzert ein Desaster zu werden versprach. Rund 80.000 begeisterte Fans aus der ganzen DDR dankten es ihm.

„Sven sucht Janna aus Königswusterhausen. Treffpunkt: Kulturparkschild“ - der Vorplatz des S–Bahnhofs Treptow ist Sammelplatz und Treffpunkt für all jene, die an diesem lauen Sommerabend aus allen Teilen der DDR zusammengeströmt sind und nur ein Ziel vor Augen haben: sie wollen „den Meister“ (Originalton Ost) sehen. Die überraschende Ankündigung von Bob Dylans Auftritt in „Berlin, Hauptstadt der DDR“, offiziell als „großes Friedenskonzert der FDJ“ apostrophiert, elektrisierte die große östliche Fangemeinde des ungebärdigen Barden. „Ich konnte es gar nicht fassen“, erzählt die 24jährige Tanja aus Trebbin, „ich dachte, ich spinne.“ Mit einer nur vagen Hoffnung auf eine Eintrittskarte (Preis: 10 Mark) war sie am Mittag in Treptow angekommen, doch es gibt Platz für alle Interessenten. Fast 100.000 Menschen passen auf die riesige Festwiese im Treptower Park, die Schwarzhändler am S–Bahnhof Treptow, die schamlos 30 Mark fordern, gucken in die Röhre. 60.000 Karten waren schon im Vorverkauf abgesetzt worden, der am Samstag - einen Tag nach Dylans Entscheidung, nach drüben zu gehen, statt in West–Berlin zu spielen - von 13 bis 19 Uhr gedauert hatte. Balsam für die geplagte Seele Dylans, dem im Westen eine gähnend leere Waldbühne gedroht hätte. Dort waren im Vorverkauf gerade 3.500 Karten zum unverschämt stolzen Preis von 48 DM unter die Leute gebracht worden, Grund genug für das Dylan–Management, lieber mit der DDR– Künstleragentur ins Geschäft zu kommen, die die angestaubte Legende schon seit Monaten hofiert hatte. Ein wahrhaft genialer Schachzug, der dem 46jährigen Künstler nun neben unverhoffter Publicity die Huldigungen von rund 80.000 begeisterten DDR–Bürgern einbringt. Auf zahlreichen Transparenten wird er gegrüßt und willkommengeheißen, ein Anhänger hat sogar extra ein Ölgemälde mit dem Porträt des Meisters geschaffen. Die alte Garde der Fans, erkenntlich an ausgebeulten Jeans, lichtem Haar und dem obligatorischen Bierbauch, ist ebenso vertreten wie die jüngere Generation. Einige geben zu, nur wegen des Spektakels gekommen zu sein, einer schiebt seine Anwesenheit auf seine Freundin (“Ick steh nich so uff lange Haare und Zottis.“), die meisten nennen jedoch ausdrücklich Bob Dylan, auch in der DDR eine Kultfigur, als Grund ihres Erscheinens. Man mag vom realen Sozialismus halten, was man will, eines muß man ihm lassen: die Rockkonzerte beginnen genauso pünktlich wie die Parteitage. Exakt um 19 Uhr stapft der Gründer der Byrds, Roger McGuinn, auf die Bühne, über der in riesigen Lettern viersprachig (deutsch, russisch, englisch, französisch) das Wort „Frieden“ prangt, und jagt die ersten Schauer der Euphorie durch die Menge, als er mit Tom Petty und den Heartbreakers die Hymnen der Sechzigerjahre, „Mr. Tambourine Man“ und „Turn, Turn, Turn“, originalgetreu nachspielt. Der geradlinige Rock der Heartbreakers heizt die Stimmung mächtig an und läßt unten auf der Wiese die Stilrichtungen munter durcheinanderpurzeln. Während Tom Petty sein bestes Stück, „Refugee“, ins Mikro röhrt, versuchen sich zwei sauber gescheitelte und in adrette Jeansanzüge gekleidete junge DDR–Bürger am Pogo. Kurze Pause - dann ist es soweit. „Guck genau hin, das siehst du nie wieder“, flüstert ein Jüngling seiner Freundin zu, als Mr. Dylan persönlich die Szenerie betritt. Die alte Lederjacke hat er mit einem weißen Jackett vertauscht, das so aussieht, als habe er es einem Oberkellner im Waldorf Astoria geklaut, die Stimme ist die alte geblieben. „When the night comes falling“, näselt er in die Nacht, Wunderkerzen flammen auf, begeistert klatschend wogt die Masse im Takt hin und her. Dylan läßt sich nicht lumpen. Mit „Like a Rolling Stone“ und „Blowin in the Wind“, Liedern, die auch hier Musikgeschichte geschrieben haben, versetzt er die 80.000 in einen Rausch von Glückseligkeit, dessen Ende allerdings abrupt kommt. Der Meister ist faul geworden, von seinen einstigen Drei–Stunden–Shows sind knappe 70 Minuten geblieben. Ohne ein Wort gesagt zu haben entfleucht Bob Dylan seinem Publikum, das sich verdutzt die Augen reibt. „War det allet?“ fragt eine ungläubige Stimme. Bevor er seine volle Wirkung erreicht hat, ist der Zauber schon vorbei. Die Leute schlucken es fast ohne Murren. Sobald das Licht angeht, verstummen die Zugabeforderungen, die Menge dreht sich auf dem Absatz herum, und ein breiter Menschenstrom ergießt sich auf die Puschkin–Allee. „Als hätten sie die Mauer aufgemacht...“, sinniert jemand vor sich hin. Die Puschkin–Allee nämlich verbände Treptow mit dem nahen Kreuzberg, würde sie nicht auf unsanfte Art daran gehindert. Matti Lieske