: Unwillen über Trittbrettfahrer
■ Führende US–Politiker versprechen sich von einem Teilabzug amerikanischer Truppen aus Europa eine Sanierung der hoffnungslos verschuldeten Staatskasse / SDI soll helfen, die USA vom Weltgeschehen abzuschotten
Von Josef Ernst
Der Unwille in den USA über das verteidigungsmüde Europa droht zum Schlager des anlaufenden Präsidentschaftswahlkampfs 1988 zu werden. Führende Politiker beider Parteien wie Vizepräsident George Bush und der einflußreiche Senator Sam Nunn fordern, einen Teil der US–Truppen aus Europa abzuziehen. Sie versprechen sich davon eine Sanierung der hoffnungslos verschuldeten Staatskasse. Diese Haltung hat Tradition in den USA. Amerikaner fühlen sich schon seit dem Ersten Weltkrieg von den Europäern mißbraucht. Internationalistisch orientierte Regierungen waren in den zwanziger und dreißiger Jahren mit Europa gegenüber „isolationistisch“ ausgerichteten Kongressen konfrontiert. Besonders „die Umdrehung“, die Rückkehr nach Europa, die Roosevelt den Amerikanern durch den Kriegseintritt „ablistete“ und in deren Folge Marshallplan und NATO kamen, haben diese „als eine unnatürliche, widerwillig getragene Last empfinden lassen“, erkannte der Publizist Sebastian Haffner schon 1970. „Heute kann man den Alliierten ruhig eins auf die Mütze geben, das ist jetzt populär“, erklärte denn auch der „Einpeitscher“ der Demokratischen Partei, Repräsentant Tony Coelho, im Juni. Er dachte dabei an den Persischen Golf, durch den über 25 Prozent des europäischen Öls geleitet werden, dessen Schiffahrtswege freizuhalten von den Alliierten aber nur zögernd in Angriff genommen wurde. In Anbetracht des immensen Haushaltsdefizits (1987: ca. 155 Mrd. Dollar) fragen sich einflußreiche Kongreßmitglieder, wieso die USA 6,7 Prozent ihres Einkommens für die Rüstung ausgeben, die NATO–Partner mit 3,8 Prozent aber nur knapp die Hälfte aufbringen. Gerade die konventionellen, zum großen Teil in Europa stationierten Streitkräfte, für die 40 Prozent des ca. 290 Mrd. Dollar umfassenden Militärhaushalts ausgegeben werden, sind besonders teuer. Strategische Waffensysteme machen vergleichsweise nur 23 Prozent des Etats aus. Dazu kommt, daß die US–Truppen im Verhältnis zu den europäischen teurer sind. Erstens wurde in den USA 1972 die Wehrpflicht abgeschafft, so daß Soldaten dem Arbeitsmarkt entsprechende Löhne bezahlt werden müssen; zweitens ist es kostspielig, für Reservetruppen und Nachschub über den Atlantik zu sorgen. Gegenwärtig sind fünf der ins gesamt 17 Divisionen (330.000 Soldaten) in Europa stationiert, und fünf weitere werden für Europa in Einsatzbereitschaft gehalten. Die USA investierten allein 1986 ca. 134 Mrd. Dollar (42,5 Prozent des US–Verteidigungshaushalts) in die NATO. Alternativpläne Professor Earl Ravenal, Rüstungsexperte der Demokratischen Partei und früherer Mitarbeiter im Pentagon, hat einen Alternativplan erstellt. Eine Dezimierung von den zehn auf drei Divisionen und dafür die Einrichtung von sieben Luftstaffeln und drei Trägerverbänden zwischen 1985 und 2005 würde statt kumulativer 2,2 Billionen Dollar „nur“ 900 Milliarden kosten. Diese Summe entspräche nur noch 26 statt 42,5 Prozent. Überschüssige Truppen aus Europa wären abzuschaffen. Ohne neu erschließbare Einnahmequellen muß der Verteidigungsetat der USA wenn nicht gekürzt, jedenfalls neu strukturiert werden. Dies hat zwei Gründe. Erstens haben die USA seit den frühen sechziger Jahren auf technologische Entwicklungen z.B. von präzisionsgesteuerten Marschflugkörpern gesetzt, um der angeblichen konventionellen Übermacht der UdSSR begegnen zu können. Zweitens befinden sich die Supermächte seit Mitte der siebziger Jahre in einem Wettstreit auf dem Gebiet der Hochtechnologie, der nun durch SDI eine neue Qualität erreicht hat. SDI, als Forschungsprojekt vom Kongreß gefördert, verspricht die technische Lösung des unterschwelligen Wunsches, die USA vom Weltgeschehen abzuschotten. Zur Förderung dieser Technologien, deren Resultat eine völlige strategische Umstrukturierung für Europa bedeuten würde, müssen die zur Verfügung stehenden Mittel neu verteilt werden. Aus amerikanischer Sicht wären Truppenreduzierungen in Europa der nächstliegende Schritt. Die Demokraten, Senator Nunn und Repräsentant Les Aspin, haben anläßlich der Debatte um die doppelte Null–Lösung darauf hingewiesen, daß „das Pferd von hinten aufgezäumt würde“; statt über strategische hätte man erst über konventionelle Waffensysteme verhandeln sollen. Trotzdem: 62 Prozent der Amerikaner sind der Meinung, daß die Bindung an Europa erhalten bleiben soll. Für die große Minderheit hingegen ist das Haushaltsdefizit womöglich nur der Aufhänger, um mit dem teilweisen Abzug von Truppen alte Ressentiments aufzuarbeiten. Josef Ernst ist freier Journalist u.a. für das US–amerikanische Magazin Wilsons Quarterly.
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