I N T E R V I E W „Wir müssen die Initiative zurückgewinnen“

■ Ein Gespräch mit dem Bremer Grünen–Vertreter Ralf Fücks nach seiner Rede auf der Bundesversammlung

taz: Die Bundesversammlung hat einen gelangweilten, langweilenden Eindruck gemacht. Sind die Grünen noch die Partei des intellektuellen Potentials? Ralf Fücks: Sie sind es zunehmend weniger. Die Grünen stehen in Gefahr, das Potential der kritischen Intelligenz wieder an die SPD zu verlieren. Auf dem Parteitag herrschte meiner Wahrnehmung nach eine Stimmung zwischen Resignation und Ratlosigkeit; die Mehrheit der Delegierten hat sich nichts mehr versprochen von einem ideologischen Kampf der Gladiatoren, also der Repräsentanten der politischen Flügel. Ist das auch ein Ergebnis der letzten Landtagswahlen? Die Entwicklung hat bereits mit der Wahl in Niedersachsen eingesetzt. Nach Hessen und Hamburg ist rot–grün vom Hoffnungsträger zum Ladenhüter geworden, auf unabsehbare Zeit irreal. Wir stehen vor der Aufgabe, eine offensive und attrakive Politik als parlamentarische und außerparlamentarische Opposition zu entwickeln, die die Frage der Regierungsbeteiligung wieder aufwirft, ohne daß die Grünen sich lächerlich machen oder anbiedern. Lächerlich gemacht haben sie sich in Hamburg? Schlimmer. Sie haben sich selbst getto isiert. Rotgrün hat schon bei der Bremer Wahl keinen reformatorischen Erwartungsschub mehr ausgelöst. Es gab zwei, drei Jahre lang die Hoffnung, die Grünen könnten kurzfristig in Bund und Ländern eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung spielen. Damit ist es erst einmal vorbei. Wir müssen uns von der positiven wie negativen Fixierung auf die SPD lösen. Die spannenden Entwicklungen finden gegenwärtig eher rechts von der Mitte statt, wo die CDU gleichzeitig an die FDP verliert und in Richtung nationalkonservativer und rechtsextremer Gruppen abbröckelt. Die Themen, mit denen die Grünen stark geworden sind, haben ungeahnten Erfolg gehabt: Kampf gegen die atomare NATO–Rüstung, gegen Atomenergie. Besteht die Krise der Grünen darin, daß ihre Themen gesiegt haben? Als Themen haben sie sich verallgemeinert. Das könnten die Grünen auch als Erfolg verbuchen, an dem sie anknüpfen, um weiter auf diesem Terrain vorzustoßen. Etwa in der Friedensdiskussion: Pazifismus, bündnis– und atomwaffenfreie Zone in Europa. Das Problem ist, daß diese konzeptionelle Arbeit innerhalb der Grünen unentwickelt ist oder sich nicht durchsetzen kann gegen die bloß taktische Polarisierung der Grünen auf Bundesebene. Was wären die Themen? Es gäbe genug. Stichwort: Zukunft der Arbeit. Die Diskussion um Arbeitszeitpolitik ist praktisch abgebrochen, nachdem die IG Metall ihren historischen Kompromiß mit den Arbeitgebern gefunden hat. In der Frauenpolitik verlieren die Grünen die Initiative an Rita Süssmuth. In der Ökologiediskussion müßte ein eigenständiges Profil gegenüber Konzepten der ökologischen Modernisierung der Industriegesellschaft formuliert werden. Die Debatte um den grünen Jugendverband zeigt, wie wenig die Funktionärskaste der Grünen begriffen hat von dem Wertewandel und dem neuen Selbstverständnis, das sich unter Jugendlichen abzeichnet und mit den alten Identifikationsmustern der Öko–Bewegung nicht mehr gefaßt werden kann. In der Technologie–Debatte gibt es zarte Ansätze für eine ökologische Technik–Gestaltung - alles das sind inhaltliche Politik–Felder, auf denen die Grünen in einem großen Dialog mit parteiunabhängigen Köpfen und gesellschaftlichen Gruppen die politische Initiative zurückgewinnen müssen. Wir brauchen eine eigenständige Motivation, grün zu wählen, ganz unabhängig davon, ob die Grünen ihre Politik aus der Opposiion oder in der Regierung verfolgen. Das Gespräch führte Klaus Wolschner