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Justiz bleibt passiv

■ Verflechtungen zwischen Justiz und Regierung haben in Schleswig–Holstein Tradition / Oberstaatsanwalt Kleiner leugnet Ermittlungsorder

Aus Kiel Jörg Feldner

Enge Verflechtungen zwischen der ausführenden und der rechtsprechenden Gewalt, wie sie sich jetzt wieder bei den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Reiner Pfeiffer andeuten, haben in Schleswig–Holstein Tradition. Eine Broschüre der Vereinigung der Verfolgten des Nazi–Regimes (VVN) nennt allein für Lübeck zwölf Richter und Staatsanwälte, deren Nazi–Juristenvergangenheit ihrer Karriere nach 1945 keinen Augenblick im Wege stand. Der Chef der Lübecker Ermittlungsbehörde, Leitender Oberstaatsanwalt Oswald Kleiner, hat gestern auf Anfrage betont, daß er keine Ermittlungsorder vom Kieler Justizministerium erhalten habe. Das war aber schon wieder alles: Zu den Vorwürfen der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, deren Landesvorsitzender Wolfgang Neskovic Richter am Lübecker Landgericht ist, verfiel Kleiner schon wieder in Schweigen. Neskovic hatte sich öffentlich darüber gewundert, daß die Staatsanwaltschaft immer noch keine Ermittlungen gegen Barschel aufgenommen habe, was auch unter Beachtung von dessen Immunität möglich sei. Wenn die Beweislage zu Ermittlungen gegen Pfeiffer ausreiche, sei auch ein Anfangsverdacht - der die Staatsanwaltschaft zum Handeln zwingt - gegen Barschel gegeben, bei dem Anstiftung oder Mittäterschaft vorliegen könne. Ausdrücklich hatte Neskovic den Chef der Staatsanwaltschaft aufgefordert, mit „Objektivität“ dem Verdacht „politischer Rücksichtnahme“ entgegenzutreten. So passiv wie Kleiners Behörde bei Ermittlungen gegen den Regierungschef ist, so aktiv war Kleiner 1983, als 35 Lübecker Richter und Staatsanwälte per Zeitungsinserat gegen die Nachrüstung protestierten. Kleiner und der Landgerichtspräsident zerrten ihre Kollegen vor Gericht, um schließlich doch hören zu müssen, daß der Inhalt der Protestanzeige rechtlich einwandfrei war. Ganz ohne Folgen blieb es dagegen, als im September 1986 Berufsrichter Addicks–Höft vom schleswig– holsteinischen Verwaltungsgericht Schleswig in einem Berufsverbotsprozeß gegen einen angeblichen DKP–Lehrer als ehemaliges Landesvorstandsmitglied der NPD–Jugend enttarnt wurde. tazintern

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