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Strahlenmolke soll ins AKW

■ Molkezug mit 3.000 Tonnen verstrahltem Molkepulver soll in ausgedientem AKW entseucht werden / Damit wird erstmals ein AKW weder zur Stromerzeugung noch für Forschungszwecke genutzt

Aus Hannover Jürgen Voges

Um die auf dem Bundeswehrgelände bei Lingen stehenden 3.000 Tonnen strahlenverseuchtes Molkepulver „als Wirtschaftsgut zu erhalten“ und vor dem endgültigen Vergammeln zu bewahren, haben sich Bundesumweltminister Klaus Töpfer und sein niedersächsischer Kollege Werner Remmers zu einem letzten Kraftakt entschlossen. Die beiden Minister haben „in Abstimmung ein gemeinsames technisches Konzept für die Entseuchung des Molkepulvers auf dem Gelände des stillgelegten AKWs Lingen I entwickelt“ und über ihre Pläne bereits am Montagabend Kommunalpolitiker aus dem Landkreis Lingen informiert. Nach dem Konzept soll demnächst das wiederaufgelöste Molkepulver durch die gleichen Rohre des Maschinenhauses des AKWs fließen, in denen einst radioaktive Wässer des AKWs geklärt wurden. Die Molke soll mit den gleichen Ionentauschern entseucht werden, mit denen früher Abwässer aus dem Kühlkreislauf des AKWs gereinigt wurden. Die Pläne der beiden Umweltminister waren am Montagabend nach dem Gespräch mit den Lingener Kommunalpolitikern vorzeitig bekannt geworden. Nach Auskunft des Umweltministeriums in Hannover sollen die für die Entseuchungsanlage notwendigen Umbauten im AKW mindesten ein Dreivierteljahr dauern. Für das von dem hannoverschen Professor Roiner entwickelte Entseuchungsverfahren müssen Anlagen zur Trennung der Molke in eine eiweißhaltige und eine wässerige Phase gebaut werden. Nach Auskunft des Bundesumweltministe riums wäre die Entseuchungsanlage in Lingen der erste Fall in der Geschichte der BRD, bei dem ein AKW weder zur Stromerzeugung noch als Forschungsreaktor, sondern für einen gänzlich anderen Zweck benutzt würde. Die rechtlichen Fragen zur der Errichtung der Entseuchungsanlage, so erklärte der Sprecher des Bundesumweltministeriums Hans Peter Meister, seien zwar noch nicht endgültig geklärt. Aber man werde alle Genehmigungsverfahren durchführen, die notwendig seien. Dies betreffe vor allem die baurechtliche und auch die Emissionschutzrechtliche Genehmigung der Anlage. Es sei aber nicht auszuschließen, daß für die Anlage auch eine atomrechtliche Genehmigung notwendig sei. Nach Ansicht des niedersächsischen Umweltministeriums braucht man dieses atomrechtliche Verfahren allerdings nicht. Zwar ist „eine wesentliche Änderung des Betriebes“ eines AKWs nach dem Atomgesetz grundsätzlich genehmigungspflichtig. Doch bei der „Stillegungsgenehmigung“ für das AKW Lingen I, mit der im November 1985 erstmal die Einmottung des Reaktors für die nächsten Jahrzehnte angeordnet wurde, hat das Umweltministerium gleichzeitig eine „Nutzungsänderung“ vieler Bereiche und Anlagenteile des AKWs verfügt. Wie der Leiter des Kernenergiereferats im Umweltministerium Horst zur Horst gestern erläuterte, sei damit auch das für die Molke–Entseuchung vorgesehene Maschinenhaus des AKWs „aus der Atomrechtlichen Aufsicht entlassen worden“. Für die geplante Anlage sei nur eine Genehmigung nach der Strahlenschutzverordnung erforderlich.

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