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Deutsche Damen bei Suhrkamp

■ Das „Jahrhundert der Frau“ und seine Begleitbände „Briefe“ und „Essays“ zeigen konzeptionelle Mängel

Neben dem jährlichen Frauentag, dem Jahr und dem Jahrzehnt der Frau, beschert uns der Suhrkamp–Verlag nun ein ganzes „Jahrhundert der Frau“. Eine fragwürdige und außerdem recht harmlose Angelegenheit: Wenn man dieses Jahrhundert überhaupt noch auf einen Nenner bringen kann, dann eher so wie Hannah Arendt, die es als eines der Lager bezeichnete. Im neuen „Weißen Programm“ von Suhrkamp mit 22 Titeln von zeitgenössischen Autorinnen ist die Frau zum Homogenisierungsmoment für die Welt geworden. Was verbindet z.B. Ricarda Huch mit Gertrude Stein, was Ding Ling mit Clarice Lispector? Die Auswahl der Schriftstellerinnen zeigt darüber hinaus, daß es sich um eine imperialistische Geschichte handelt: Keine Russin, keine Mittel– oder gar Osteuropäerin, keine Afrikanerin, nur eine einzige Asiatin. Ob sich das ein Verlag heute leisten würde, wenn es um „Weltliteratur“ ginge? Bei Frauen hängen die Kriterien offenbar nicht so hoch. Ist die Thematisierung von „Frau“ heutzutage zum Renovierungsprojekt avanciert, in dessen Zuge marode politische und theoretische Diskurse wieder aufgemöbelt werden? In den Begleitbänden zum „Weißen Programm“ schnurrt die Welt dann räumlich und zeitlich erheblich zusammen. Vor allem wird sie deutsch: „Deutsche Gedichte“ datieren von Hildegard von Bingen bis Ingeborg Bachmann, „Deutsche Briefe“ dagegen von ca. 1700 bis 1917, von „Lieselotte von der Pfalz bis Rosa Luxemburg“ wie es im Untertitel heißt, während „Deutsche Essays“ von 1880 bis heute produziert werden Ein Brief ist ein Brief ist ein Brief Bei dem programmatischen „deutsch in den Titeln“ kann man - vor allem bei dem Briefband - eine Gänsehaut bekommen, denn „deutsche“ Anthologien haben durchaus Tradition. Nur waren die Vorgänger in kleinerem Format und auf dünnerem Papier gedruckt - handliche Tornistergröße für Soldatengepäck. Auch für die Frauen an der „Heimatfront“ gab es die passenden Sammlungen. Muß man hinzufügen, daß die Jüdinnen aus einem 1936 erschienenen Briefband (“Von Goethes Mutter zu Cosima Wagner. Zweihundert Jahre deutsches Frauenleben“) bereits vollständig ausgebürgert waren? Trotz aller wichtigen Gedanken im Nachwort zu Schrift und Gedächtnis, zu Schreiben und Überliefern bleibt der Frauen brief in der vorliegenden Anthologie, was er seit der Mitte des 18. Jahrhunderts angeblich ist: ein dem Leben der Mündlichkeit nahestehender und damit „weiblicher“ Text. Der Brief sei „halb Laut, halb Schrift und immer auf der Suche nach dem Empfänger - und nach der Antwort“, schreibt die Herausgeberin Claudia Schmölders, doch dann sind die Briefe im Band so angeordnet, daß die meisten Schreiberinnen ins Leere sprechen. Außerdem wird in der Gliederung des Bandes vorausgesetzt, daß Briefe einen signifikanten Inhalt haben und daß dieser sich im umspannten Zeitraum nicht wesentlich verändert hat: Lieben und Lassen, Familienleben, Freundschaften, Sterben, Geschichte und Alltag usw. Da in der ebenfalls seit dem 18. Jahrhundert üblichen Weise ausschließlich auf die Schreiberin rekurriert wird, wirken die Briefe insgesamt unverständlich. Was erklären biographische Daten, wenn man sonst keinerlei Hinweis auf den historischen Kontext der Briefe bekommt? Wer nicht sowieso schon „weiß“, was ein Brief oder eine Frau ist, der kann die Anthologie kaum nutzen. Dabei geht der Auftakt des Bandes in eine ganz andere Richtung: Ein montiertes Duett zwischen Eva König und Lessing setzt die Spezifik des Briefeschreibens in Szene: Im Ping–Pong der Briefe, im Warten auf Antwort zwischen Hoffnung und und Verzweiflung, konstituieren sich die Schreiber erst im Brief des Anderen. Einem dauernden Aufschub ausgesetzt, kommen sie nie zur Ruhe, weil sie immer wieder schreiben und warten. Nie ist das schreibende Ich, schon gar nicht in dem, was es schreibt. Schlimmer, weil von ärgerlicher Selektivität und der Hochnäsigkeit der Nachgeborenen geprägt, ist der Band Deutsche Essays. Die Damen, die vor her schrieben, konnten es der Herausgeberin Marlis Gerhardt nicht recht machen. Feministisches Schreibparadies? Den einen wird vorgeworfen, daß sie sich nicht um die „Frau“ kümmerten. Die anderen, die genau darüber schrieben, werden gar nicht erst vorgestellt - mit Ausnahme von Hedwig Dohm. Den ausgewählten Texten von Ricarda Huch, Hannah Arendt und Margret Boveri merkte man laut Herausgeberin angeblich nicht an, wer da spricht, weil sich die Autorinnen „mit Selbstverständlichkeit in die herrschende Tradition einordnen“. Dieses Urteil zeugt von der bornierten Sichtweise der Herausgeberin, die auf das Wiedererkennen einer völlig eingeschränkten Thematik programmiert ist. Heute ist alles anders, denn wir leben nun in einem feministischen Schreibparadies, in dem angeblich ein „unbefangener und anti– konservativer Umgang“ mit dem Essay herrscht. Vor diesem Paradies steht allerdings eine strenge Wächterin, die zwar Texte mit Entlarvungsgestus (z.B. von Alice Schwarzer über Männerjustiz oder Hannelore Schlaffer über Widmungen in Büchern) passieren läßt, nicht aber solche, die die „Frau“ als theoretischen und politischen Gegenstand allererst konstatieren. So fehlen nicht nur Texte, in denen die weibliche Intellektualität zum Problem wird, sondern auch solche, die eine Theorie weiblichen Schreibens entwickeln - Christa Wolfs Essay über Karoline von Günderrode steht im Kontext des Bandes ganz allein da. Diese beiden Thematiken sind tatsächlich neu, auch wenn sie deshalb nicht gleich „besser“ sein müssen als die der Vorgängerinnen. Deutsche Damen haben sich um die „Frau“ zu kümmern - eine offensichtlich bereits gegebene Problematik, die der Reflexion keine größeren Rätsel aufgibt und die auch keine größeren Ansprüche an die Schreibweise stellt. So wirkt der Band mit seiner proklamierten „feministischen Wende“ furchtbar harmlos, weil das non plus ultra zeitgenössischer Essayistik in mediengängiger Plauderei zu bestehen scheint, wie sie z.B. von Barbara Sichtermann in ihrem Text über erotische Objektbildung von Frauen vorgeführt wird. Ein beunruhigendes Buch - man weiß, worum es geht. Dieses Kleinschreiben der Geschichte ist eine durchaus „weibliche“ Arbeit, dafür waren die Frauen doch immer schon gut. Also meine Damen, lesen Sie Essays. Und tun sies schnell, denn das Jahrhundert der Frau scheint sich dem Ende zuzuneigen. Warum sonst diese Eile? Barbara Hahn Deutsche Gedichte von Hildegard von Bingen bis Ingeborg Bachmann. Ausgewählt und mit einem Nachwort von Elisabeth Borchers. Ffm. 1987. DM25,– Deutsche Essays von Frauen des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Marlis Gerhardt. Ffm. 1987. DM 25,–. Deutsche Briefe von Lieselotte von der Pfalz bis Rosa Luxemburg. Hrsg. von Claudia Schmölders. Ffm. 1987. DM25,–.

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