: Die USA entdecken Tibet
■ Mr. R.R. soll via Lhasa die Chinesen Mores lehren
Von Erich Kuby
Der Laserstrahl, mit dem nach Sachverhalten weltweit gesucht wird, um antisowjetische, antikommunistische und daher auch antichinesische Emotionen hochzupäppeln, richtet sich nunmehr immer beharrlicher auf Tibet. Der amerikanische Senat hat vorgestern mit 98 zu null Stimmen beschlossen hat, R.R. nahezulegen, sich mit dem Dalai Lama zu treffen. Auch mögen, so der Senat, künftig Waffen an China nur noch dann verkauft werden, wenn die Führung in Peking sich bereit fände, die „Menschenrechtsfrage“ in Tibet zu lösen. Das ist etwa so, als hätte der Senat empfohlen, die Vereinigten Staaten müßten Pinochet fallen lassen, falls er Chile nicht zu einem demokratisch regierten Staat mache (was freilich dem Senat nicht in den Sinn kommen könnte). Im Ernst, der Unernst einer solchen, R.R. ohnehin zu nichts verpflichtenden Entschließung springt in die Augen, sie ist pure Propaganda und beruht zudem auf eine vermutlich gewollten Fehlinterpretation der chinesischen Herrschaft in Tibet! Daß die Tibeter die Chinesen los sein möchten, versteht sich von selbst, unvergessen sind die fürchterlichen Schäden, die Tibets Klöster durch die chinesischen Verbrecher der „Kulturrevolution“ zugefügt worden sind. Aber das waren Exzesse, die ganz China an den Rand des Ruins gebracht hatten, nicht speziell gegen Tibet gerichtet gewesen waren und heute von nahezu allen Chinesen von oben bis unten so eingeschätzt werden wie hierzulande von immerhin vielen die „Endlösung“. Im ganzen verdanken die Tibeter China vermehrten Wohlstand und insgesamt eine „Modernisierung“, der sie sich so oder so nicht hätten entziehen können. Das ist keine Einschätzung, die nur vom sicheren BRD–Port aus getroffen werden kann - die Tibeter selbst haben in den letzten Tagen zu erkennen gegeben, daß ihnen vor einer unkontrollierten Ausuferung des Aufstandes grauste, die Peking zu verhindern wissen wird. Um so übler alle Bemühungen, aus dem ohnehin nahezu ausgetretenen Feuerchen der Mönche mit dem Blasebalg antikommunistischer Propaganda einen Brand werden zu lassen - anders kann die Aufforderung, der Präsident möge sich mit dem Dalai Lama treffen, nicht interpretiert werden. Der hohe Würdenträger, ein zweiter Papst, dessen Macht noch weit spirituellerer Natur ist als die jenes in Rom - in ihrer Reisefreudigkeit sind sie sich ähnlich! - würde sich im Interesse seines Einflusses in Tibet, der durch die erzwungene Emigration nicht gelitten hat, im Gegenteil!, sich gewiß weigern, zu einem amerikanischen Spielzeug gemacht zu werden, wie er sich ja auch bisher geweigert hat, der Pekinger Offerte, nach Lhasa zurückzukehren, zu folgen. Dort könnte er nichts sein als ein unter Kuratel stehender Oberpiester. Vom Exil aus ist er die Personifikation religiöser und nationaler Sehnsüchte seines Volkes. Daß die Mönche in seinem Namen auf die Straße gegangen sind, zeigt seine ungebrochene Autorität. Wir Westler sollten uns eingestehen, daß wir von deren Urgrund nichts verstehen.
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