Giftmüll am Ziel?

■ Hearing zur Endlagerung in ostfriesischen Salzkavernen

Aus Aurich Jürgen Voges

Die Zeile „Ostfreesland mien Heimat noch bis du gesund“ hatte der niedersächsische Umweltminister Remmers vor der Stadthalle in Aurich noch mitgesungen. Doch als die Mitglieder der BI Jemgum gegen Giftmüll das vermeintliche ostfriesische Volkslied mit „bewahr uns vör Giftmüll bi uns hier in Grund“ fortsetzten, verstummte der Minister. Jovial mit Handschlag hatte Remmers noch einzelne Mitglieder der Giftmüll–BIs begrüßt, die draußen vor der Expertenanhörung „Endlagerung von Sonderabfall in Salzkavernen“ am Mittwoch mit Giftmüllfässern, Särgen, Transparenten protestierten. Doch die Bürgerinitativen aus dem Landkreis Leer weigerten sich, die Stadthalle in Aurich auch nur zu betreten. Für sie war das Hearing von vornherein „eine Farce, deren Ergebnis schon festeht“. Der große Saal der Stadthalle in Aurich war dennoch am Mittwoch gut gefüllt: 500 Zuhörer machten ihrem Unmut Luft, stellten kritische Fragen und folgten fast zehn Stunden dem Schlagabtausch der 17 Experten auf dem Podium, von denen ein Teil von den Bürgerinitiativen benannt worden war. Der niedersächsische Umweltminister hat mit seinem Plan, in Ostfriesland eine Salzkavernendeponie mit einem langfristigen Fassungsvermögen von drei Millionen Tonnen Giftmüll zu errichten, eine ganze Region gegen sich aufgebracht. 25 Bürgerinitiativen sind um die drei in die engere Auswahl gezogenen Deponiestandorte Jemgum, Bunde und Etzel entstanden. 3.000 Giftmüllgegner haben am vergangenen Sonntag wiederum in Leer demonstriert. Die Gemeinderäte und Kreistage der betroffenen Gebiete, gleichgültig ob dort CDU oder SPD regiert, haben sich längst gegen die Errichtung der Deponie ausgesprochen. Gemeindedirektoren, Vertreter des Heimatbundes, der Kreishandwerkerschaft, des Wasserwirtschaftsamtes und vor allem engagierte Bürger wollten auf dem Hearing wissen, welche Gefahren von der Deponie ausgehen können. Sie wurden alle enttäuscht. Für die geplante Deponie sollen in einem der drei Salzstöcke in rund 800 Meter Tiefe nach und nach 20 zylindrische Kavernen ausgespült werden, die rund dreihundert Meter hoch und 45 Meter breit sein sollen. Welche Gefahren aller dings vom Transport und der Endlagerung der Giftmüllmengen ausgeht, die durch das Spülloch in den Kavernen versenkt werden sollen, hängt entscheidend von der Art der angelieferten Abfälle ab. Nur anorganische feste Abfälle, die chemisch neutral seien, keine Gase entwickelten und auch nicht mit Wasser reagierten, dürften überhaut in Kavernen eingelagert werden, verlangte der von den BIs als Experte benannte Chemiker Michael Braungart. Die ammoniak–, cyanid– oder nitrithaltigen Salze, die der vorläufige Einlagerungskatalog der Landesregierung enthält, müßten von der Einlagerung ausgeschlossen werden. Sobald sich bei der Einlagerung Wärme entwickelt, Gas– oder Flüssigkeitsblasen entstehen, würde der Giftmüll unter dem hohen Druck des Gebirges mobil und könnte eines Tages wieder an die Oberfläche wandern, befürchten die BI–Experten. Es blieben daher, so sagte Michael Braungart, weiter eigentlich nur vier fünf Stoffgruppen übrig, die man überhaupt in Salzkavernen lagern könne. Zumindest einer der Experten der Gegenseite, Dr. Jürgen Hahn vom Bundesgesundheitsamt, schloß sich später dieser für die Sicherheit der Deponie ent scheidenden Forderung an. Allerdings betonte dann schließlich der Vertreter des Umweltbundesamtes Dr. Hartmut Wiedemann immer wieder, daß der Abfallartenkatalog für die Salzkavernen erst durch die Technische Anleitung Abfall festgelegt werde. Und die sei noch in Arbeit. „Geld und Arbeit wollt ihr uns nicht geben - den Dreck wollen wir auch nicht“, stand auf einem der Transparente vor der Stadthalle, und in dem Reader, den die BI Etzel gegen Giftmüll für das Hearing zusammengestellt hatte, fand sich eine Landkarte, auf der sich Giftmüllströme aus allen Teilen Europas auf die Urlaubsregion an der Nordseeküste zubewegen. Gerne wolle man die wenigen Giftabfälle der heimischen Industrie in Ostfriesland endlagern, boten Redner aus dem Publikum an, aber nicht Gifmüll „aus ganz Niedersachsen, aus anderen Bundesländern und auch aus anderen EG– Ländern“. Wieso überhaupt Ostfriesland als Standort für die Kavernendeponie gewählt worden sei, so resümierte der Geologe Jürgen Kreusch von der Hannoverschen Gruppe Ökologie sein Aktenstudium, „ist anhand der vorliegenden Gutachten nicht nachvollziehbar.“ Irgendwann habe man mit dem Argument, daß nur an der Küste die Ausspülung von Kavernen wirtschaftlich vertretbar sei, die im Binnenland liegende Hälfte der niedersächsischen Salzstöcke aus der Standortvorauswahl herausgenommen. Ein anderer von den Bürgerinitiativen benannten Experte, Gerd Zwiener vom Kölner KATALYSE–Umweltforschungsinstitut, fügte hinzu, es sei nirgendwo nachgewiesen, daß der Transport der bei der Ausspülung von Kavernen entstehenden Salzsole an die Küste teurer sei als der Transport des Giftmülls in das abgelegne ostfriesische Rheiderland. Unter Sicherheitsaspekten müßten aber auf jeden Fall die Transportwege für den Giftmüll so kurz wie möglich gehalten werden. Auch die Salzstöcke im Raum Hannover/ Salzgitter, wo der meiste niedersächsische Giftmüll entstehe, sagte Zwiener begleitet von Beifall, müßten in eine neue Standortuntersuchung einbezogen werden. Auch die von den Bürgerinitiativen benannten Experten haben in Aurich allesamt betont, daß sie die Endlagerung von Giftmüll in Salzkavernen „nicht prinzipiell“ ablehnen. Der BI–Experte Michael Braungart bot sogar die Mitarbeit der niedersächsischen Giftmüllinitiativen bei der Suche nach einem anderen abfallerzeugernahen Standort an. Eine zweijährige Pause für die Planungen, in der das weltweit neue Verfahren erst einmal in einer kleinen Kaverne in einem Salzbergwerk untersucht wird, und natürlich eine Einigung über die einzulagernden Stoffe - das waren die weiteren Bedingungen, die die BI–Experten für eine Zusammenarbeit mit Remmers nannten. Der Umweltminister zog aus diesem Angebot allerdings seine eigenen Schlüsse: Niemand auf dem Podium sei prinzipiell gegen die Unterbringung von bestimmten Abfallsorten in Kavernen gewesen, sagte er in seinem Schlußwort. Er sei nicht bereit längere Fristen für die Planung hinzunehmen. Und den Bürgerinitaven, die „einen Kampf bis aufs Messer“ gegen seine Standortauswahl angekündigten, erwiderte er: „Ich fürchte solche Auseinandersetzungen nicht.“ Auch gegen den Willen der betroffenen Gemeinden will Remmers „durchsetzen, was ich für richtig halte“.