Atomares Brasilien: Hunderte verstrahlt

■ Nach dem radioaktiven Unfall doch mehr Opfer als angenommen / Für zehn Opfer kaum noch Hoffnung

Rio de Janeiro (dpa/ap/taz) - Weit mehr Personen als bisher vermutet sind bei dem Strahlenunglück in der brasilianischen Provinzhauptstadt Goiania Mitte September radioaktiv verseucht worden. 243 Menschen sollen nach Angaben des Gesundheitsministeriums unterschiedlich stark betroffen sein. 24 Schwerkranke wurden bereits in das Marinekrankenhaus in Rio de Janeiro eingeliefert, dem einzigen Zentrum zur Behandlung von Opfern atomarer Unfälle. Bei zehn von ihnen gibt es wenig Hoffnung. Ein Arzt berichtete, daß die Patienten bereits ihre Haare verlören. Außerdem sei ein starker Rückgang der weißen Blutkörperchen festzustellen. Die Behörden hatten letzte Woche schon acht Stadtteile Goianias mit einer Gesamtfläche von etwa zwei Quadratkilometer absperren und 142 Menschen evakuieren lassen, um eine weitere Verseuchung mit dem hochradioaktiven Caesium 137 zu verhindern. Das Strahlenmaterial war freigeworden, als ein Schrotthändler den Schutzbehälter eines Röntgenapparates aufbrach, der aus einem verlassenen Gebäude des Radiologischen Instituts von Goiania mitgenommen wurde. Fortsetzung auf Seite 6 siehe auch Interview Seite 6 Anschließend verteilte er den radioaktiven Stoff, der bei Dunkelheit „so schön bläulich strahlte“, an Kinder und Nachbarn. Eine Ärztin berichtete, daß viele Leute den Stoff angefaßt oder sich sogar damit eingerieben hätten. Die bei dem Unfall in Brasilien freigewordene Menge an Radioakivität ist mit der Strahlung, die nach der Tschernobyl–Katastrophe austrat, vergleichbar. Der US–amerikanische Arzt Dr. Ge rald Hanson, der sich zur Zeit zur Behandlung der Strahlenopfer in Rio de Janeiro aufhält, erklärte am Donnerstag in einem Fernsehinterview, der Unfall werde in seiner Schwere nur von der Tschernobyl–Katastrophe übertroffen. Auch in bundesdeutschen Krankenhäusern wird mit ähnlichen Strahlenquellen gearbeitet. Allerdings sollen starke Sicherheitsvorkehrungen Unfälle wie den in Brasilien verhindern. Die inzwischen von den brasilianischen Behörden sichergestellten radioaktiv verseuchten Gegenstände sollen zusammen mit dem aufgebrochenen Bleibehälter in einem Gebirgszug in der Nähe des Amazonas endgelagert werden. Wie der Vorsitzende der staatlichen Energiekommission, Rex Nazare, am Freitag mitteilte, hat Präsident Jose Sarney der Beseitigung des hochradioaktiven Stoffes auf diesem Wege zugestimmt. Dennoch bat die brasilianische Regierung die Internationale Energie–Agentur (IAEA) in Wien vergangene Woche um Hilfe bei der Beseitigung der Stahlenschäden. Mehrere ausländische Experten sind bereits in Brasilien eingetroffen.