piwik no script img

Ein Jahr nach dem Erdbeben richten sich in San Salvador die Opfer im Provisorium ein

■ Die staatliche Förderung kam vor allem den Mittelschichten zugute / Die Christdemokraten scheuen den Konflikt mit dem Privatsektor / „Das Erdbeben hat aufgedeckt, was wir schon kannten: die ungerechte Struktur unserer Gesellschaft, Ursprung so vielen Übels“, predigte der Erzbischof zum Jahrestag

Aus San Salvador Ralf Leonhard

Im Schatten des Picacho–Vulkankegels am Nordrand von San Salvador liegt der Bezirk Zacamil. Auf beiden Seiten einer Straße abseits der Hauptverkehrsadern erheben sich ganze Kolonien von Wellblechhütten jüngeren Datums, wie sie seit dem verheerenden Beben vom 10. Oktober des Vorjahres in allen Teilen der Hauptstadt aus dem Boden geschossen sind. Die jüngste spontane Siedlung ist von der Straße aus gar nicht zu sehen. Auf einem brachliegenden Grundstück des städtischen Wohnungsbauinstituts IVU stehen mehrere Hütten, die bereits bewohnt werden. An anderen wird noch fleißig gezimmert. „Aus den alten Notunterkünften wurden wir vertrieben. Der Bürgermeister von Cuscatancingo gab uns 14 Tage zur Räumung“, klagt Jose Luis Rodriguez, einer der Wortführer der kleinen Gemeinde von Obdachlosen. Cuscatancingo und Mejicanos sind proletarische Vororte von San Salvador, die längst ins Stadtgebiet hineingewachsen sind. Beide wurden vom großen Beben schwer in Mitleidenschaft gezogen. „Wir wollen dem IVU das Land für einen symbolischen Preis abkaufen“, sagen die Siedler, die fest entschlossen sind, sich nicht vertreiben zu lassen. Wohnung nur mit Parteibuch Jenseits der Straße wird auf Gemeindegrund für Obdachlose gebaut: richtige Häuser aus Ziegeln und mit Fenstern. „Die wollten dort von mir zuallererst wissen, ob ich bei der (christdemokratischen) Partei bin“, berichtet Jose Arturo Ayales, ein vierzigjähriger Maurergehilfe, der sich dort nach Wohnmöglichkeiten erkundigt hat. Rund um den ersten Jahrestag der Katastrophe eilt Präsident Duarte von einer Einweihung zur nächsten: hier die Grundsteinlegung für den von Bonn finanzierten Neubau des Kinderkrankenhauses Benjamin Bloom, dort die Eröffnung eines Sozialbaukomplexes. In Apopa, zehn Kilometer nördlich von San Salvador - bisher ein verschlafener Vorort, wo Baugrund noch billig ist - wurden die ersten 128 von 1.000 von Italien und Guatemala finanzierten Sozialwohnungen eröffnet. Bilder von neuen Wohnkomplexen in ganzseitigen Zeitungsanzeigen der Regierung sollen beweisen, daß die Spendengelder nicht in den Taschen von Funktionären versickert sind. Ovidio Hernandez, der Direktor der staatlichen Kommission, die eingesetzt wurde, eine Spende aus den USA in Höhe von 50 Millionen Dollar zu verwalten, räumt allerdings ein, daß nur eine Minderheit in den Genuß der neuen Billigwohnungen kommt: „Unter denjenigen, die bereit waren, nach Apopa zu ziehen, wurden die Wohnungen verlost“. Über seinem Schreibtisch hat er eine Tabelle hängen, aus der die Bestimmung der Gelder hervorgeht. Danach wurden 3,2 Millionen Dollar für die Beschäftigung von 12.000 Obdachlosen bei der Schuttentfernung aufgewendet und weitere 5,2 Millionen für provisorische Unterkünfte von 20.000 Familien. 19 Millionen Dollar wurden als weiche Kredite mit 5 Prozent Zinsen bei 20jähriger Laufzeit an 5.000 Besitzer von beschädigten Eigenheimen vergeben. Weitere zehn Millionen sind in die Sanierung von 5.000 Klein– und Kleinstunternehmen gesteckt worden. „Eine derartige Katastrophe sollte Anlaß für eine politische Entscheidung sein, die historischen Probleme der ungerechten Land– und Einkommensverteilung in Angriff zu nehmen“, so kritisiert Manuel Sevilla, der Geschäftsführer der kirchennahen Stiftung für Entwicklung und Mindestwohnraum (FUNDASAL) die bevorzugte Förderung der Mittelklasse: „Leider ist diese Gelegenheit hier verpaßt worden.“ Er geht davon aus, daß strukturelle Veränderungen auch ohne Enteignungen möglich gewesen wären, etwa durch Landtausch. Doch die regierenden Christdemokraten hätten es nicht auf eine Konfrontation mit dem Privatsektor ankommen lassen wollen. Planungsminister Fidel Chavez Mena kündigte an, daß die Spendengelder von 378,5 Mio. Dollar verwendet würden, um den baulichen Status quo ante wiederherzustellen, ein Vorhaben, das nicht nur von der Linken, sondern auch von der Kirche kritisiert wird. „Das Erdbeben hat aufgedeckt, was wir schon kannten: die ungerechte Struktur unserer Gesellschaft, Ursprung so vielen Übels“, sagte Erzbischof Rivera y Damas in seiner Predigt zum Jahrestag des Bebens. Zwölf Tafeln Wellblech von der Regierung Für die ehemaligen Bewohner von „mesones“ - ebenerdige, um einen gemeinsamen Innenhof mit gemeinsamem Brunnen und Latrine errichtete Mehrfamilienhäuser aus Billigmaterial - die fast die Hälfte der an die 300.000 Obdach losen ausmachen, ist jedenfalls bisher nicht viel getan worden. „Zwölf Tafeln Wellblech haben wir von der Regierung bekommen“, erzählt die 20jährige Bäckereiangestellte Santiaga Abarca im Bezirk La Vega nahe dem Stadtzentrum. Die 13 Familien, die sich die Meson Josefina teilen, haben provisorische Bretterverschläge errichtet, wo vorher lehmverkleidete Bambuswände standen. Keiner ist weggezogen. Die meisten wohnen schon über zehn Jahre da und viele sind inzwischen durch Endogamie innerhalb des Meson miteinander verschwägert. „Wo sollen wir denn hin?“, fragt sich der Wortführer der Wohngemeinschaft, Jose Antonio Hernandez, ein arbeitsloser Bäcker. Sie haben auch um Baukredit gebeten, aber die Bank verlangte Sicherheiten und zwei Bürgen mit geregeltem Einkommen. „Wer hat hier schon ein regelmäßiges Einkommen?“, fragt Hernandez. Die meisten müssen sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Der Hausherr, der früher jeden Monat pünktlich die Miete kassierte, hat sich seit einem halbem Jahr nicht mehr blicken lassen. „Angeblich hat er verkauft“, sagt eine der Frauen, „und keiner weiß, ob der neue Hausherr uns rauswirft.“ Andere Bewohner von Mesones haben sich organisiert. Zum Beispiel in der Pfarrei San Roque. „Wir hinterlegen die Miete beim Mietengericht“, erklärt Alberto Galdamez, Mitglied des Obdachlosenrates der Pfarrei, „damit uns keiner mit dem Argument des Zahlungsverzugs rauswerfen kann.“ Die Regierung will zwar die Eigentümer von Mesones in ihr Kreditprogramm einbeziehen und zum Neubau der Mehrfamilienkomplexe bewegen, doch Basisinitiativen behagen ihr offensichtlich nicht. Galdamez: „Sie schleust Spitzel ein, die die Führungsgremien durch Verleumdungskampagnen sprengen sollen.“ „Wir geben den Armen Land, Wasser und Wohnung“, verwies Präsident Duarte auf ein Bauprojekt außerhalb der Hauptstadt, „dort zahlen sie nur zehn Dollar im Monat“. Doch selbst zehn Dollar ist zuviel für viele der Obdachlosen der Elendsviertel, die kein geregeltes Einkommen haben. Diese haben ihre notdürftige Behausung auf Plätzen aufgeschlagen, die von niemandem beansprucht werden. Viele leben auf Abhängen und werden bei heftigen Niederschlägen weggespült. Einige dieser Gemeinschaften am äußersten Rande der Gesellschaft leben seit dem Beben vom Mai 1965 im Provisorium.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen