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Putz im Heilbronner Asylbewerberheim

■ Aus dem Heilbronner Gemeinderat wurden sie rausgeschmissen, Proteste bei Verantwortlichen brachten nichts - jetzt lassen 40 Araber ihrer Verzweiflung freien Lauf und demolieren, was sie diskriminiert: „Wir haben das alles kaputt gemacht, damit wir hier wegkommen.“

Aus Heilbronn Rolf Gramm

„9./10.September: Sämtliche Gebäude mit politischen Parolen in deutscher Sprache besprüht. 10./11.September: Zugangstor zum Areal abgesägt und entfernt. 11./12.September: 50 Meter Umzäunungsdraht abgeschnitten und entfernt, sämtliche Feuerlöscher entleert. 15/16.September: Tür zur Waschküche aufgebrochen, weitere 20 Meter Umzäunung entfernt.“ Fast täglich hat der Heilbronner Polizeipräsident Walter Steffan im September solche Vorkommnisse notiert. Immer wieder taucht in seiner Chronik das „Staatliche Ausländerwohnheim“ in der Benzstraße auf: der (immer wieder angebrachte) zerstörte Zaun, das (immer wieder erneuerte) abgesägte und weggeschaffte Stahltor, die eingeworfenen Fensterscheiben, aufgebrochene Schlösser und zertrümmertes Mobiliar. Das ehemalige „Gastarbeiter– Wohnheim“ ist fast ein Trümmerhaufen. Kaum ein intaktes Fenster ist in den insgesamt fünf Holzbaracken zu finden. Im inneren der Gebäude sind Toiletten und Waschbecken aus den Fassungen gerissen oder zerschlagen, die Zimmer gleichen mehr Müllkippen als Wohnräumen. Ein Haufen Kleinholz, der am Eingang einer der Baracken aufgetürmt ist, war einmal ein Billardtisch und ein Tischfußballgerät. Intakt ist lediglich noch ein als Moschee hergerichteter Raum und einige Zimmer, in denen die Flüchtlinge schlafen und wohnen. „Wir haben das alles kaputt gemacht, damit wir endlich hier wegkommen, hier kann man doch keine Menschen reinsperren“ erklärt einer der 40 hier untergebrachten Araber, „zumindest können sie jetzt keine zusätzlichen Asylbewerber mehr hier einquartieren“. „Der ganze Krach ging schon bei der Ankunft der ersten Flüchtlinge vor fast zwei Monaten los“, erzählt Werner Frütsche, einer derjenigen Deutschen, die sich zusammengefunden haben, um die Asylbewerber in ihrer Auseinandersetzung zu unterstützen. Nicht nur der Anblick des von Zäunen umgebenen, mit einem Stahltor gesicherten Barackenlagers habe die Araber dabei schockiert, sondern vor allem dessen Lage: Kilometerweit vom bewohnten Stadtgebiet entfernt, mitten im Industriegebiet, eingerahmt von dem riesigen Heilbronner E–Werk , einer Kohlenhalde, einem Kraftfutterwerk und anderen Industrieanlagen. Die Araber schildern, wie sie sich nach ihrer Ankunft zunächst stundenlang weigerten, ihren Bus zu verlassen und wie zwei von ihnen später auf einen Kran gestiegen seien unter der Drohung, sich in die Tiefe zu stürzen. „Obwohl auch das nichts genützt hat, haben wir uns dann geweigert, in diese Hundehütten, einzuziehen, in denen kein Deutscher schlafen würde“. erzählt ein Marokkaner, „die nächste Nacht verbrachten wir im Freien.“ Seitdem sind die Auseinandersetzungen immer härter geworden. Die Flüchtlinge erzählen von der Verweigerung der für sie bestimmten Alu–Folien–Fertigmahlzeiten, „bei denen wird uns übel“, und wie sie dafür mit Geldentzug bestraft wurden. Sie berichten über Aktionen in der Stadt, wo sie einige Tage auf einem stark frequentierten Platz übernachteten, um die skandalösen Zustände öffentlich zu machen. Sie klagen über ihren Rauswurf aus einer Sitzung des Heilbronner Gemeinderats in der sie ihre Forderungen vorgebringen wollten. Ende Oktober dann die große Entäuschung: Ein Vertreter des Stuttgarter Regierungspräsidiums sei in den Baracken erschienen und habe erklärt, daß die Flüchtlinge bis auf weiteres nicht verlegt würden. „Das ist die Strafe für euer aufrührerisches Verhalten und dafür, daß ihr den Kontakt zu den Deutschen nicht abgebrochen habt“, hat er ihnen erklärt. Und das, obwohl derselbe Mann ihnen bei ihrer Ankunft versprochen habe, daß sie „höchstens sechs Wochen hierbleiben müssen“. „Da haben wir keine andere Möglichkeit mehr gesehen als alles unbewohnbar zu machen und zu zerstören und das haben wir dann auch gemacht“. In der kommenden Nacht sei die Polizei gekommen und habe in einer martialischen Strafaktion Tränengas in die Zimmer gesprüht. Diese Aktion wird von mehreren der Araber bestätigt. Polizeichef Steffan bestreitet einen derartigen Einsatz. Er selbst habe die Tränengasbestände kontrolliert und die seien unverändert. In seiner Chronik kommt der entsprechende Tag überhaupt nicht vor. Ob ihre Darstellung dieser Ereignisse stimmt, werden die Araber nicht beweisen können. „Das ist ja klar, wenn man sie an einem so abgelegenen Ort einsperrt, wo kein Einheimischer etwas mitkriegt“, sagt Werner Frütsche dazu. Einen gewissen Eindruck scheinen die Aktionen und die Hartnäckigkeit der Flüchtlinge bei den staatlichen Stellen aber gemacht zu haben. Ein Sprecher des Regierungspräsidiums erklärt jedenfalls auf Anfrage, man sei jetzt auf der Suche nach anderen Plätzen in staatlichen Asylwohnheimen, um die Araber umzuquartieren. Wo und wann, das allerdings könne er noch nicht sagen.

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