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Autoproduktion: Immer noch für eine Hexenküche gut

■ Die Konferenz zur „Zukunft der Arbeit in der Automobilindustrie“ offenbarte Verunsicherung / Der Taylorismus ist nicht am Ende, es gibt ihn aber auch nicht mehr

Von David Weißert

Auf der internationalen Konferenz zur „Zukunft der Arbeit in der Automobilindustrie“, die am 5. und 6. November in Berlin stattfand, machte das Wort von der „neuen Unübersichtlichkeit“ die Runde. Dabei hatte man sich eigentlich zusammengefunden, um Klarheit über die Entwicklung der Schlüsselindustrie der westlichen Industrienationen zu gewinnen. Geladen hatten die Mitarbeiter des von der Fachwelt seit langem mit Spannung verfolgten Automobilprojekts des Berliner Wissenschaftszentrums. Die lange erwarteten Ergebnisse sollten vorgestellt werden, ein Anlaß, zu dem sich ein illustrer Kreis Interessierter eingefunden hatte. Die europäische Zentrale eines amerikanischen Automultis schickte ebenso Beobachter wie der Verband der deutschen Automobilindustrie. Der Vorstand der IG Metall war hochkarätig vertreten, und eine Anzahl deutscher Automobilbetriebsräte gab sich die Ehre. Vor allem hatte sich aber die internationale Zunft der ForscherInnen in Sachen Automobilindustrie eingefunden, allen voran die „alten Hasen“ des seinerzeit vom Massachusetts Institute for Technology ins Leben gerufenen internationalen Projekts zur Erforschung der Zukunft des Automobils, als dessen Teilprojekt die Berliner einmal begonnen hatten. Begonnen hatten sie 1982 mit dem überaus ambitionierten Vorhaben eines internationalen Vergleichs von Montagewerken dreier Multis in drei verschiedenen Ländern: den USA, Großbritannien und der BRD. Verglichen werden sollten die Werke hinsichtlich der technischen Bedingungen der Produktion, der Arbeitsorganisation und der industriellen Beziehungen, dem Verhältnis zwischen Management und Belegschaften sowie deren Vertretungen. Angesichts der tiefen Krise, die die internationale Automobilindustrie Anfang der achtziger Jahre erlebte, sollte auf Veränderungsprozesse und Anpassungspotentiale besonderes Augenmerk gerichtet werden. Zu diesem Zweck besuchten die Ber liner Forscher im Verlauf mehrerer Jahre nicht weniger als 17 Werke, führten zahllose Gespräche mit Experten sowohl der Gewerkschaften als der Unternehmensseite, sprachen mit Belegschaftsvertretern und Managern. Ihr ausführlicher Bericht wird erst in einigen Monaten erscheinen können. Aber schon die auf der Konferenz vorgetragenen Thesen enthalten einigen Zündstoff. Ihre Hauptthese beinhaltet eine klare Absage an alle Verkünder eines posttayloristischen Zeitalters. Von einer Abschaffung der klassischen Fließbandarbeit könne keine Rede sein, vielmehr erlebe gerade in den USA das Produktionsprinzip des Taylorismus/ Fordismus seinen Höhepunkt. Auch in Großbritannien stehe die Abschaffung des Fließbands weder bei Gewerkschaften noch bei Unternehmensleitungen auf der Tagesordnung. Allerdings - und hier setzt die Unübersichtlichkeit ein - sind in der bundesdeutschen Automobilindustrie, und zwar in Tochterunternehmen deutscher und amerikanischer Konzerne, Reorganisationsprozesse im Produktionsbereich im Gange, die teilweise ein beträchtliches Ausmaß erreicht haben. Diese konzentrierten sich allerdings bisher hauptsächlich auf Knotenpunkte des Produktionsflusses, etwa in Form von Modulfertigung, wo zusammenhängende Montageeinheiten, beispielsweise die „Cockpit“ genannte Fahrerkabine, aus der Fließbandfertigung herausgenommen und in neue Formen der Gruppenfertigung zusammengefaßt oder automatisiert werden. Solche neuen Formen umfassen aber auch in den deutschen Automobilwerken maximal 30 Prozent der Montagearbeit. Der bei weitem größte Teil bleibt auch hier traditionellen Mustern verhaftet. Vergrößert wird die Unübersichtlichkeit zudem noch durch den Umstand, daß zum einen ein gradueller Technologietransfer aus den europäischen Konzerntöchtern in amerikanische Werke festzustellen ist und zum anderen gerade in den USA höchstmoderne Pilotprojekte existieren, in denen neue Wege der Automobilproduktion erprobt werden. Diese waren allerdings bewußt aus der Untersuchung ausgeklammert worden. Gerade auf die normalen „bread–and–butter“–Betriebe, in denen Profite erwirtschaftet werden müssen, sollte das Augenmerk gerichtet werden. Und hier war es, wo die beträchtlichen Differenzen weit mehr zwischen den Ländern als zwischen den Unternehmen ermittelt wurden - ein Ergebnis, das die Forscher von einem „besonderen deutschen Weg“ sprechen ließ. Dieser basiert, so ihre These, in erster Linie auf der erfolgreichen Nutzung des noch zu erhöhenden Qualifikationsniveaus der deutschen Automobilbelegschaften. Dies war natürlich ohne die aktive Mitarbeit der Betriebsräte und Gewerkschaften nicht möglich. Und wie aus allen Konferenzbeiträgen seitens deutscher Gewerkschaftsvertreter deutlich wurde, setzen diese voll auf eine Qualifizierungsofffensive. So soll der technische Vorsprung der deutschen Automobilindustrie, der sich, so eine These der Berliner Forschergruppe, noch vergrößert hat, verteidigt werden. Von seiten der Gewerkschaft wurde auch am deutlichsten ausgesprochen, was allen Anwesenden bekannt war: Die Überkapazitäten der Automobilindustrie von weltweit 20 Prozent müssen früher oder später abgebaut werden. Sie hoffen darauf, daß die technologische Überlegenheit ausreichen wird, um die deutsche Automobilindustrie ungeschoren davon kommen zu lassen. Die Forscher des Wissenschaftszentrums ermutigten sie bei diesem Kalkül. Sie sehen Probleme eher für die USA und Großbritannien entstehen, eine Position, die ihnen den Vorwurf einer „Modell–Deutschland“–Orientierung eintrug und den Hinweis darauf, daß gerade in Großbritannien in den letzten Jahren hohe Profite ganz ohne spektakuläre Änderungen der Produktionstechnologie eingefahren worden seien. Auch das Verhältnis von technischer Produktivität und Profitabilität scheint von Unübersichtlichkeit geprägt zu sein.

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