: Wie sie sich räuspern und wie sie spucken
■ In Berlin sind zur Zeit amerikanische Autorinnen und Autoren zu besichtigen: ein Anlaß, einmal nicht über ihre Bücher, sondern über ihre Vortragsstile zu sprechen - beispielsweise die von William Gaddis und Marilyn French
Aus Berlin Arno Widmann
Welch ein Blödsinn, von einem Autor zu verlangen, er solle sich auf ein Podium setzen und seine Texte vorlesen. Dazu sei er nicht da. William Gaddis blickt sichtlich pikiert ins Publikum. Ein Autor habe zu schreiben, das sei anstrengend genug. Er könne da nicht noch den Schauspieler mimen. Eklig, wie das Showbusiness sich auf alles lege, wie von jedem verlangt würde, sich wie einer dieser besmokingten Entertainer aufzuführen. Gaddis verwendet das Wort nicht, aber er haßt sie, die Kulturindustrie. Er formuliert seine spitzen Bemerkungen, ohne das Gesicht zu verziehen. Nur wenn ihm eine besonders schöne Sottise gelungen ist, werden seine Lippen ganz lang und schmal. Dann wirft er gleich wieder etwas Versöhnlicheres dazwischen. Nein, er hat nichts gegen Schauspieler. Im Gegenteil, er bewundert sie. Er zählt drei, vier Namen auf - alle mausetot - und zieht sich freundlich lächelnd, wie seine Sonntagsschullehrerin, in sein Jackett zurück. In dreißig Jahren hat er drei Bücher geschrieben - keines davon ist ins Deutsche übersetzt worden -, er gilt in den einschlägigen Kreisen als eine Figur im Format von James Joyce. Man munkelt, seine größten Erfolge habe er unter dem Pseudonym Thomas Pynchon eingeheimst, zu Dichterlesungen geht er fast nie. Wenn doch einmal, dann betritt er das Podium, sagt kurz, daß es natürlich Blödsinn wäre, wenn er jetzt etwas aus seinen Büchern vorlese, nickt den herbeigeeilten Fans aus schmalen Lippen spöttisch zu und geht das kleine Treppchen wieder hinunter. Auch diesmal sieht es ganz so aus, als wolle er sich der Lesung entziehen. Dann aber rückt er ein Riesenbrikett von Buch vor sich zurecht - „The Recognitions“ - und fängt an, daraus vorzulesen. Erst sehr leise, langsam lauter werdend, und dann ist es auch schon vorbei. Mit einem Mal ist klar, warum er nicht vorlesen will. Es geht nicht. So wie er schreibt, kann man nicht lesen. Ein zankendes Ehepaar, dazu der Fernseher, die Geräusche draußen und drinnen, alles gleichzeitig, und ständig wechselt die Aufmerksamkeit. Mal ist der Text des Erzählers die Botschaft, mal der Fernseher, mal die Ehefrau. Eine Komposition aus Alltagsklängen. Da setzt sich ein Pochen ein paar Zeilen weiter im Sprechrhythmus des Ehemannes fort, die Intonation der Frauenstimme antwortet dem Geräusch des Fernsehers. Eine Musik, die nur im Kopf des Lesers ertönt, die ganz ohne die Umständlichkeiten von Sylviusschen Knöchelchen, Trommelfellspanner und häutigem Labyrinth auskommt. Im Gegenteil: Das laute Lesen macht die Polyphonie der Komposition unhörbar, zerstört also genau das, worauf es in diesem Falle ankam. Eine deutliche Lektion. Ganz anders Marilyn French. Ihr macht die Vorleserei sichtlich Spaß. Sie hat dafür geübt. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - schwer erträglich. Ihre Rhetorik ist die einer Predigerin. Nicht die des Pfarrers, wie wir ihn kennen. Keine dozierende, ruhig entwickelnde Exegese von Losung und Lehrtext, kein erhobener Zeigefinger, der uns den Weg zu Sitte und Moral weist. Nein, es ist, abgemildert, seiner ekstatischen Spitzen beraubt, ein Soul–Gottes dienst. Die Predigerin vorne fängt an mit Beiläufigem im gräßlichen Radio–Märchentanten–Ton, dann schnelle Beschleunigungen, Gickser dazwischen, die sofort wieder zurückgenommen, aber immer häufiger werden. Dann die Stelle, auf die der ganze Abschnitt mit seinen Vor– und Rückläufen zueilte: oft eine Frage oder eine paradoxe Formulierung. Hier müßte die Gemeinde einfallen mit einem „Yeah, yeah, yeah“ oder einem „Praise the Lord“. Aber wir sind nicht im Gottesdienst, sondern hier liest eine weltberühmte Autorin aus ihrem neuesten Buch. Da kommt - jedenfalls in unseren Breiten - so viel Stimmung nicht auf. Aber die Struktur ist deutlich geworden. Marilyn Frenchs Lesung hat ein Stück der Struktur ihrer Texte deutlich gemacht. Sie scheinen sich - so gehört - aus lauter kleinen Predigten der beschriebenen Art zusammenzusetzen, und wo die Gemeinde - begeistert - einfallen müßte, da kommt ein Witzwort der Autorin, eine scherzhafte Einlage, distanzierende Ironie, in der sich der Schmerz einen Ausweg verschafft. Der Schmerz darüber, daß die Gemeinde nicht da ist, daß die Autorin am Schreibtisch arbeitet und sich ihrer Wirkung nicht versichern kann, daß sie ohne die anfeuernden Beifallsrufe, ohne die Gewißheit, daß ihre Message verstanden und begeistert aufgenommen wird, weiterschreiben muß. Ironie als der Schutz der einsamen Autorin vor dem Versinken im sanften Sumpf der eigenen großen Gefühle? Ich werde das Gefühl nicht los, daß es sich mehr um eine Masche handelt, eine Strickart. Kontraste setzen, harte Kontraste, ist ja die bevorzugte Ästhetik auch der amerikanischen Seifenopern. Dazu kommt, daß jeder Ton, den sie selbst liest, bei Marilyn French falsch klingt. Aufgesetzt und antrainiert. So gesehen hat William Gaddis mit seiner Kritik an der Selbst– Vorleserei ganz und gar unrecht. Man lernt eine Menge dabei und geht um vieles schlauer aus dem Haus als man hineinkam. Wer mehr über die AutorInnen dieser amerikanischen Literaturtage in Berlin wissen will, der sei auf Bernd Klähns Artikel „Bacchantische Aufklärung“ in der taz vom 6.11. und auf die heutige Frauenseite hingewiesen. Am heutigen Freitag wird nicht gelesen, sondern diskutiert. Walter Abish, Donald Barthelme, Robert Coover, Phil Fischer und Klaus Scherpe unterhalten sich um 20 Uhr im Berliner Amerika Haus über das Thema: Die Stadt im Kopf - Projektion und Wirklichkeit.
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