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Geldstrafe wegen „Meinungs“–Artikel

■ Redakteur des „Hunsrück–Forum“ wegen Bericht über Volkszählungsboykott–Initiative verurteilt Aufmachung und Konstellation des Berichts seien Meinungswiedergabe / Verurteilter geht in Berufung

Simmern (taz) - Zum ersten Mal ist in der Bundesrepublik ein Journalist von einem Gericht verurteilt worden, weil er über eine Volkszählungsboykott–Initiative und deren Vorschläge berichtet hat. Das Amtsgericht im rheinland– pfälzischen Simmern verdonnerte den 40jährigen Horst Petry, den verantwortlichen Redakteur der Alternativ–Zeitschrift Hunsrück–Forum, zu einer Geldstrafe von 1.200 DM wegen des „erfolglosen Aufrufs zur Begehung einer Straftat“. Der Redakteur habe sich durch Aufmachung und Konstellation des Berichts über die Gründung der Volkszählungsboykott–Initiative Kastellaun und deren Tips gegen die Volkszählung die „Meinung der Initiative zu eigen gemacht“, sagte Amtsrichter Heinz– Georg Göttgen zur Begründung. Göttgen übernahm bei seinen Ausführungen zum Urteil weitgehend die Formulierungen der Staatsanwaltschaft, die Petry vorgehalten hatte, er hätte lediglich „aus taktischen Gründen“ den Artikel so abgefaßt, als werde in ihm die Meinung Dritter wiedergegeben. In der April–Ausgabe des Hunsrück–Forum hatte es unter anderem wörtlich geheißen: „Erste wichtigste Schritte beim Boykott“ sind nach Auffassung der Initiative, den erhaltenen Fragebogen „unkenntlich“ zu machen (die siebenstellige Erkennungsnummer herauszuschneiden) und zum „Boykott–Büro“ zu schicken/senden, um so „einen zahlenmäßigen Überblick der Boykott–Teilnehmer zu haben“. Vor allem diese Text–Passage war es, die übereinstimmend von Staatsanwaltschaft und Gericht moniert wurde. Aber auch in der Überschrift „Volks–Aushorchung Nein Danke“ und einem Bild einer Rechenmaschine, deren eine Kugel aus der Zahlenreihe mit der Bemerkung „ohne mich“ wegläuft, sah das Gericht den Tatbestand des Paragraphen111 Strafgesetzbuch (öffentlicher Aufruf zur Begehung einer Straftat) in Verbindung mit dem rheinland–pfälzischen Landespressegesetz, erfüllt. Das Gericht ordnete ebenfalls die Einziehung der beschlagnahmten Exemplare der April– Ausgabe des Hunsrück–Forums - sie wurden damals von den Ermittlungsbehörden noch in der Druckerei der Zeitschrift einkassiert - und die „Unbrauchbarmachung“ der Druckplatte an. Man könne zwar nicht prüfen, so Göttgen, wieviele Personen nun auf Grund des Berichts im Hunsrück–Forums ihre Bögen beschädigt hätten, aber das spiele auch keine Rolle. Schon während der Urteilsverkündung hagelte es aus dem gut besuchten Saal des Simmerer Amtsgerichts knallharte Proteste des Publikums. Während der Angeklagte Redakteur Horst Petry fassungslos wirkte, wurde Richter Göttgen immer wieder durch Zurufe wie „Hier wird die Demokratie an die Wand genagelt“, „Politischer Richter“, „Barschelknecht“ und vieles mehr unterbrochen. Göttgen, der zahlreiche ZuhörerInnen bereits in Blockade– Prozessen im Fließbandverfahren verurteilt hatte und dadurch persönlich kennt, sprach bei seiner kurzen Urteilsbegründung wiederholt die Zuschauer namentlich an. Gegen diese Entscheidung des Amtsgerichts Simmern wird der Verurteilte Berufung einlegen.

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