: Zeit zum Nachdenken gewinnen
Daß die legendäre Koalition der Lang– und Grauhaarigen, die den Widerstand gegen die Startbahn 18–West des Frankfurter Rhein– Main Flughafens über Jahre hinweg getragen hat, so tot ist wie die rot–grüne Koalition in Wiesbaden, ist nicht erst seit den Todesschüssen auf die Polizisten bekannt. Der Grundkonsens, daß alle Gruppen, die sich dem Kampf gegen die waldfressende Startbahn verschrieben hatten, irgendwie „zur Bewegung“ gehören (müssen), wurde spätestens 1984 - bei den Aktionen und Demonstrationen gegen die Pisteneinweihung - Makulatur, als sich der sogenannte bürgerliche Teil der Startbahn–Initiativen offen von den „Putztruppen“ distanzierte, denen es nur um den „Mauerpunk“ gehe. Der bürgerliche und vielfach auch parteipolitisch involvierte Arm der Bewegung inszenierte damals eigene Veranstaltungen in Mörfelden–Walldorf und schloß sich dem Mauer– Demonstrationsaufruf des auch seinerzeit schon mehrheitlich von autonomen– und antiimperialistischen Gruppierungen getragenen „Gesamtplenums“ nicht an. Daß die BürgerInnen aus der Region im April 84 dennoch in den Wald geströmt kamen, lag alleine daran, daß die Wunden, die ihnen durch den Startbahnbau in die Köpfe und Herzen geschlagen wurden, noch zu frisch waren, um sich damit zuhause in die Betten legen zu können. Heute - nach den tödlichen Schüssen auf die Polizeibeamten - ist der Riß zwischen dem zur Militanz neigenden Teil der Bewegung und den „Bürgers“ aus Mörfelden–Walldorf unübersehbar tief. Die BürgerInnen aus der Region haben das Plenum der Startbahn–Bürgerinitiativen boykottiert, weil sie, ohne in Zugzwang geraten zu wollen, über ihren „Beitrag zum Abbau der Gewalt“ nachdenken wollen, wie das Pfarrer Ulrich Dannemann am Donnerstag auf einer von den Kreis–Grünen Groß–Gerau initiierten Veranstaltung in Mörfelden zum Ausdruck brachte, zu der über zweihundert Menschen aus der Region gekommen waren. Auf dieser Veranstaltung, an der neben Joschka Fischer und dem SPD–Landtagsabgeordneten Matthias Kurth auch diverse „Exponenten“ aus der Hochzeit der Bewegung teilnahmen(wie etwa der Rüsselsheimer Fluglärm–Professor Denk), war der Teil der Bewegung präsent, der am Freitag auf dem Plenum fehlte: Mitglieder der Grünen Bürgerliste Mörfelden–Walldorf (GBL), Küchenfrauen, engagierte Pfarrer, Sozialdemokraten, Mitglieder der in Mörfelden starken DKP, die Startbahn–Rentner, Mitglieder des BUND und andere be– und getroffene BürgerInnen. Viel Beifall gabs für Joschka Fischer, der sich für strikt gewaltfreie Aktionen aussprach, auch wenn die Staatsgewalt - wie in der Vergangenheit gerade an der Startbahn - „mit Exzessen aufgetreten“ sei. Fischer: „Es gilt, die Gewaltspirale zu durchbrechen. Und das beginnt damit, daß man Polizisten nicht ignoriert, nur weil sie zur anderen Seite zählen.“ Daß Gewalt gegen Menschen „nicht die Sache der Ökologiebewegung“ sei, befand Pfarrer Dannemann. Nach den schrecklichen Schüssen an der Startbahn müßten nun „mit Phantasie und Kreativität“ neue Formen des Protestes gesucht werden. Dannemann forderte die verantwortlichen Politiker auf, umweltzerstörerische Großprojekte - „von Kalkar bis Wackersdorf“ - zunächst auf Eis zu legen, um „Zeit zum Nachdenken für alle Seiten“ zu gewinnen. Das Bedürfnis der BürgerInnen nach Aussprache war groß. Der Mörfeldener Startbahngegner Günther Meinke erinnerte daran, daß die Gewalt von beiden Seiten ausgegangen sei. Dennoch sei es jetzt höchste Zeit, sich mit der „anderen Seite“ zusammenzusetzen und zu diskutieren. Wie Dirk Treber, einer der legendären Sprecher der Startbahn–Bürgerinitiativen und heutiger Mitarbeiter der Grünen im hessischen Landtag, im Gespräch mit der taz erklärte, würden solche Kontakte - „als erstes positives Ergebnis der schrecklichen Ereignisse“ - bereits existieren. Mit der Schutzpolizei Groß–Gerau und der Polizeidirektion wurden Gesprächsrunden vereinbart. Und der Groß–Gerauer Polizeidirektor Rübenklau nahm am vorletzten Sonntag am Hüttenkirchen–Gottesdienst der StartbahngegnerInnen teil. „Schluß mit den militanten Aktionen“ war auch die Forderung von rund fünfzig BürgerInnen, die sich am Freitag - zeitgleich mit dem Plenum - auf Einladung von Pfarrer Bohris im evangelischen Gemeindehaus von Mörfelden getroffen hatten. Die Schüsse vom 2. November seien eine „Zäsur“ gewesen. Jetzt müsse Zeit sein, für die Trauer und für das Nachdenken. Klaus–Peter Klingelschmitt
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