Welche Härten gegen NS–Opfer verantworten die SPD und die Grünen in Bonn?

■ Erklärung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg / Die Trennung der NS–Verfolgten / Stiftungsgesetze und Anhörung der Opfer / Die weiteren Schritte

Klaus Hartung schrieb in der tageszeitung (taz) vom 6. November 1987, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma habe sich zusammen mit der FDP in einer Presseerklärung vom 9. Oktober 1987 „von den Forderungen der Verfolgtenverbände, der SPD und der Grünen distanziert“. Und weiter schrieb Klaus Hartung: „Renate Schmidt (SPD) appelliert an die Solidarität der Verfolgtenverbände.“ Im zugehörigen Interview nennt die Abgeordnete Renate Schmidt keine Namen der „bestimmten Gruppierungen“, die sie - so ihre Formulierung - „außerhalb der Solidarität aller“ sehe. Unsolidarisch seien sie wegen der gewünschten „Sonderregelung, ... im Beirat des Härtefonds mitbestimmend vertreten zu sein“. Frau Schmidt: „Jeder, der in der Sache drin ist, weiß, wen ich meine.“ Dazu verschwieg die taz auch noch den Affront gegen die Verfolgten durch den SPD–Entschließungsantrag vom 27. August 1987 zur „Änderung der Härteregelung von 1981“. Für die taz–Leser wäre es wichtig gewesen, über die Presseerklärungen vom 9. Oktober und 3. November 1987 informiert zu werden. Es ist nicht zu fassen, daß aus der SPD jetzt eine Schuldzuweisung an die Verfolgten erfolgt, nachdem sie selbst 1980 bei der Wiedergutmachung die Trennung in jüdische und nicht–jüdische Verfolgte vollzog. 1981 schloß sie die Sinti und Roma weitgehend und die Zwangssterilisierten, Homosexuellen, Kriegsdienstgegner, Kommunisten usw. vollständig von den neuen Möglichkeiten für Entschädigungsrenten oder auch nur von Einmalzahlungen von 5.000 Mark bei der „Härteregelung“ aus. Von 1986 auf 1987 vertröstete sie - trotz genügend anderer Möglichkeiten - die Verfolgten von einer Legislaturperiode auf die andere. Und noch im August 1987 wollte sie ihre Ausschlußpolitik - anfänglich noch mit der Unterstützung der Grünen - fortsetzen. Die vom Zentralrat ausgearbeitete Stiftung wollte die SPD in Wirklichkeit nicht haben. Die 40 Jahre nach dem „Dritten Reich“ mühevoll und ohne Hilfe der Parteien aufgebauten Selbstorganisationen der Sinti und Roma, Zwangssterilisierten, Homosexuellen usw. brauchen für ihre Solidarität bestimmt nicht die Kritik aus den Reihen der SPD. Die Trennung der NS–Verfolgten 1980 verabschiedete der SPD–Finanzminister Matthöfer eine „Härteregelung für jüdische Verfolgte“, deren Mittel laut Richtlinien über den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jewish Claims Conference vergeben werden. Einen kleinen Fonds richtete die SPD im August 1981 zur ebenfalls „abschließenden“ Regelung von „Härten bei nicht–jüdischen Verfolgten“ ein, allerdings nicht unter Einbeziehung der Sinti und Roma. „Laufende Beihilfen“ (Entschädigungsrenten) aus dem zugehörigen „Dispositionsfonds“ sollten unter „Mitwirkung eines Beirats aus Kreisen der Geschädigten“ vergeben werden. Der Beirat wurde aber nach dem Parteienproporz und trotz Zusagen von Helmut Schmidt und Helmut Kohl im März 1982 auch nicht mit nur einem Vertreter des Zentralrats der Sinti und Roma besetzt. SPD–Finanzminister Lahnstein ließ dem Zentralrat im Juli 1982 mitteilen, die Sinti und Roma könnten im Beirat keinen besseren Vertreter haben als den SPD–Abgeordneten Jaunich. Er und der ebenfalls von der SPD für den Beirat benannte Bundesverfassungsrichter a.D. Martin Hirsch sorgten und sorgen bis heute für die unerträglich, auf 325 Jahre kalkulierte Vergabepraxis durch den Finanzminister, die auch von Dr. Vogel und der FDP–Fraktion beanstandet wird. 1.000–Mark–Rente für alle Opfer Seit 1984 erhebt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma öffentlich die Forderung nach einer sofortigen Mindestentschädigung von 1.000 Mark für alle NS–Verfolgten und nicht nur für Sinti und Roma. Zur Zeit liegt die Mindestrente nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) bei 515 Mark, der Rentendurchschnitt bei 600 Mark. Im Oktober befürwortete Willy Brandt die Forderung nach 1.000 Mark für alle, jedoch weigerten sich die Abgeordneten Jaunich, Jahn und Fuchs, sie im November 1985 in einen SPD–Antrag aufzunehmen. Statt dessen wollten sie vom Bundestag eine „fehlende Alterssicherung“ bei der „Härteregelung“ von 1981 festgestellt wissen. Für den Finanzminister war das Gelegenheit zu seinem zynischen Bericht zur Wiedergutmachung vom 1. November 1987. Das Fehlen der „Alterssicherung“ sei kein Problem der Entschädigung, sondern Mangel einer rechtzeitigen „Altersvorsorge“ bei den Sinti und Roma. Lediglich die Grünen hatten die Forderungen des Zentralrates vollständig in ihren Antrag übernommen. Unter der Zuständigkeit von Ströbele und Schily gehörte das noch zum Verständnis dieser Fraktion. Statt Anhörung der Milliarden–Bericht Trotz der festen Zusage der SPD– Abgeordneten Renate Schmidt, Waltemathe, Emmerlich und Conradi im November 1985, eine öffentliche Anhörung zur Wiedergutmachung im Bundestag zu beantragen, lehnten Horst Jaunich und andere Abgeordnete bei einem weiteren Gespräch mit dem Zentralrat im April 1986 diese Zusage kategorisch ab. Außerdem sei nach der parlamentarischen Geschäftsordnung eine solche Anhörung gar nicht möglich. Die SPD wolle statt dessen ein Stiftungsgesetz, die Möglichkeit einer Anhörung aber doch noch „prüfen“. Trotz eines im Bundestag schon vorliegenden, die Wiedergutmachungs–Milliarden auftürmenden Berichts von Finanzminister Stoltenberg stimmte die SPD gemeinsam mit der Koalition gegen die Stimmen der Grünen völlig überraschend im Juni 1986 nicht für konkrete Entschädigungsleistungen und eine Anhörung, sondern für die Anforderung eines neuerlichen Regierungsberichtes bis zum 1. November 1986. Sröbele warnte, damit seien dank der SPD vor Ende der Legislaturperiode im Dezember 1986 keine Entscheidungen zugunsten der Verfolgten mehr möglich. Ströbele behielt entgegen Renate Schmidts Widerspruch recht. Sie „schämte“ sich vor Presse im November 1986 für den Regierungsbericht und verschob die SPD–Anträge zur Stiftung, zur „Härteregelung“ und zum Bundesentschädigungsgesetz auf die nächste Legislaturperiode. Stiftungsgesetz und Anhörung Als der Zentralrat im Oktober 1986 den SPD–Entwurf zum Stiftungsgesetz sehen wollte, gab es ihn nicht, dafür aber schon den Termin für den Beschluß der Stiftung in der Fraktion. Der dann eilends von der Mutter–Kind–Stiftung abgeschriebene Text des SPD–Entwurfs war eine Katastrophe. Die Verfolgtengruppen wur den mit Absicht nicht genannt. Die Juden sollten keinen Zugang zur Stiftung bekommen. SPD–Begründung: „Die hatten das BEG und ihre eigene Härteregelung.“ Einen Rechtsanspruch sollte es für die Verfolgten bewußt nicht geben. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma schrieb den gesamten SPD–Entwurf für die in den Bundestag Ende Oktober 1986 dann eingebrachte Fassung um: mit dem Rechtsanspruch, mit der langen Liste der Verfolgtengruppen (einschließlich der auch beim BEG benachteiligten Juden), mit einem Beschwerdeausschuß der Verfolgtenvertreter im Stiftungsrat und mit der klaren, vorrangigen Regelung für Entschädigungsrenten. Die SPD konnte nur noch die geforderte Summe von 1.000 Mark in den Erläuterungstext zum Gesetzesvorschlag verstecken und nur die Zwangsarbeiter, für die es laut SPD eine eigene Stiftung geben sollte, ausschließen. Anders als zugesagt, brachte die SPD ihre alten Anträge von Ende 1986 nicht gleich wieder in den im Februar neu konstituierten Bundestag ein. Sie tat es erst im Mai 1987 nach einem Appell des Zentralrates an den SPD–Fraktionsvorsitzenden. So konnte die lange geforderte Anhörung zur Wiedergutmachung nicht schon im April, sondern mit knappen Fristen für die Einladung der Experten erst am 24. Juni 1987 im Innenausschuß des Bundestags stattfinden. SPD und Grüne luden den „bundesverband Homosexualität“ und Vertreter von NS–ver folgten Kommunisten zur Anhörung nicht ein. Bei den Grünen waren nun nicht mehr die engagierten Abgeordneten Ströbele und Schily zuständig, sondern Antje Vollmer. Ihr Assistent, in Wiedergutmachungsfragen ebenfalls ein Neuling, erklärte aus dem Büro der Grünen den Verfolgtenorganisationen, worauf es nun im Bundestag ankomme und welche Forderungen die Richtigen seien. Koordinierungstreffen im Katholischen Büro Nicht weniger als auf CDU/CSU– und FDP–Seite stieß auch auf Seiten der SPD und der Grünen ein vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma für den 23. Juni 1987 einberufenes Koordinierungstreffen der Verfolgtenorganisationen im Katholischen Büro der Bischofskonferenz auf beträchtlichen Argwohn. Der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, erhielt gleich zwei Anrufe der SPD, er solle das Koordinierungstreffen sofort wieder absagen, weil ein Treffen nach der Anhörung sinnvoller sei. Bei dem historischen Treffen einigten sich Sinti und Roma, Zwangssterilisierte und „Euthanasie“–Geschädigte, Homosexuelle, Widerstandskämpfer und Vertreter von Kriegsdienstgegnern und Zwangsarbeitern auf gemeinsame Forderungen und erhielten dazu bei der Anhörung am nächsten Tag die Unterstützung der Katholischen Kirche. Die letzte Regelung der SPD Renate Schmidt und Antje Voll mer wollten bei einem Gespräch mit den Verfolgtenvertretern am Morgen vor der Anhörung nicht eine Sofortregelung über den „Härtefonds“ für alle schon 1988 (als Übergang zu der über die Hürden bis zum Bundesrat für 1990 zu erwartenden Stiftung). In den Wortprotokollen der Anhörung ist nachzulesen, daß Frau Vollmer nach ihrem Weg durch „Feuer und Wasser“ Probleme mit der „Normalität“ bekam. Die Abgeordnete Schmidt weinte; es war ihr „unbehaglich“ und sie hatte „Sorgen“. Jetzt wollte sie „letzte finanzielle Regelungen“. Wie sich die SPD, die ihr vom Zentralrat ausgearbeitetes Stiftungsgesetz nie wollte, die „letzte finanzielle Regelung“ für „abschließende Leistungen“ an einem pro forma erweiterten Kreis von nicht–jüdischen Verfolgten vorstellte, brachte sie mit ihrem Entschließungsantrag vom 27. August 1987 wieder ohne jede Rücksprache mit den Verfolgten gegenüber den Fraktionen des Bundestags zum Ausdruck. Damit erklärte die SPD ihren Antrag auf eine Stiftung endgültig zur Makulatur, schon bevor es am 4. November 1987 im Innenausschuß des Bundestags zur abschließenden Beratung der Ergebnisse der Anhörung kam. Nur die Grünen „befürworteten“ diesen Antrag mit zwei Änderungsvorschlägen und zogen die Befürwortung wieder zurück, als der Zuspruch der Verfolgten ausblieb. Bei dieser von der SPD beantragten „Änderung der Härteregelung für nicht–jüdische Verfolgte“ sollten für „abschließende Leistungen“ nur noch die restlichen 50 Millionen Mark von den 1981 zur Verfügung gestellten 100 Millionen zur Verteilung kommen. Die schon ausgeschlossenen Sinti und Roma sollten weiter ausgeschlossen bleiben, ebenso die Kommunisten. Zahlungen sollte es nach SPD–Vorstellung nur an jene anderen Opfer geben können, die „noch keine Entschädigung erhalten haben“. Damit sollten auch die 6.500 Zwangsterilisierten, weil sie schon früher 5.000 Mark erhielten, von „laufenden Beihilfen“ aus dem auf 20 Millionen Mark begrenzten Dispositionsfonds dieser „Härteregelung“ ausgeschlossen bleiben. Der Beirat der Geschädigten sollte bei diesem Fonds nicht mehr „mitwirken“, sondern nach der Änderung der SPD vor der Alleinentscheidung des Finanzministers nur noch „prüfen“ dürfen. An diesem SPD–Antrag kann sich die Koalitionsentschließung vom 4. November 1987 trotz ihrer gravierenden Mängel, auf die der Zentralrat schon am 3. November ausführlich hinwies, messen lassen. Zu den aus 1981 noch vorhandenen 50 Millionen Mark verlangt sie zusätzlich 300 Millionen und „Verbesserungen“ bei den „laufenden Beihilfen“ an einen erheblich größeren Kreis von nicht–jüdischen NS–Verfolgten als bisher. Die Koalitionsentschließung verlangt auch Verbesserungen für Zweitverfahren nach dem alten Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erarbeitete bereits eine Vorgabe an den Bundestag und an den Finanzminister bezüglich der in der Koalitionsentschließung verlangten neuen und geänderten Richtlinien der „Härteregelungen“ und Durchführungsbestimmungen. Dazu lud der Zentralrat die Verfolgtenorganisationen zu einem neuerlichen Koordinierungstreffen noch im November ins Katholische Büro der Bischofskonferenz ein. Alle Verfolgten würden es begrüßen, wenn die SPD und die Grünen die Forderung nach dem Stiftungsgesetz weiterverfolgen. Es ist aber andererseits - und das besonders - anzuerkennen und zu danken, daß der SPD–Fraktionsvorsitzende Hans Jochen Vogel mit der vom Zentralrat zusammengestellten Liste der 525 Fälle vorenthaltener Entschädigungsrenten für schwer NS–verfolgte Sinti und Roma im November 1986 zum Bundeskanzler ging, um für sie diese nach dem BEG und der „Härteregelung“ möglichen Renten einzufordern. Einige der Fälle sind von den zuständigen Ämtern in Bayern und Baden– Württemberg schon positiv entschieden. In Nordrhein–Westfalen und Bremen stehen Gespräche an. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Wilhelm Spindler, Stellvertretender Vorsitzender (Zwangssterilisierter, Geschwister und Verwandte in Auschwitz ermordet) Hildegard Lagrenne, Vorstand des Verbandes Deutscher Sinti (1940 ins KZ deportiert, Geschwister und Verwandte ermordet)