: DDR stellt Krawczyk kalt
■ Der Ost–Berliner Liedermacher darf auch in Kirchen nicht mehr auftreten / Statt „Neuem Denken“ 500 Mark Geldstrafe angedroht / 40 Stasi–Leute auf der Empore
Aus Ost–Berlin Clara Roth
Mit einem generellen Auftrittsverbot und Eingriffen in die Autonomie der Kirche haben die DDR– Behörden auf die Forderung der Ost–Berliner Künstler Klier und Krawczyk reagiert, Gorbatschows Kurs des „neuen Denkens“ in der DDR umzusetzen: Bei Androhung von mindestens 500 Mark Strafe darf Krawczyk jetzt auch in kirchlichen Räumen nicht mehr auftreten. Auf staatlichen Bühnen haben beide Künstler bereits seit zweieinhalb Jahren Auftrittsverbot. Krawczyk hatte in der vergangenen Woche während eines Auftrittes in der Ost–Berliner Samariterkirche einen offenen Brief an den DDR–Chefideologen Hager verlesen und scharfe Kritik an der DDR–Kulturpolitik und dem allgegenwärtigen „Druck und der Entmündigung durch die Staatsorgane“ geübt (taz vom 11.11.). Als Krawczyk eine Woche später, am Montag abend, in einer anderen Ost–Berliner Kirche auftreten wollte, fand er das Portal verschlossen: „Der Gemeindekirchenrat entspricht dem Wunsch staatlicher Stellen und hat das Konzert abgesagt“, stand auf dem Schild an der abgesperrten Kirchentür. Ein gemeinsamer Kabarettabend von Freya Klier und Stephan Krawczyk in einem kleinen Ort bei Cottbus war zwei Tage zuvor ebenfalls verhindert worden. Der Rat des Bezirkes hatte in Einzelgesprächen den Mitgliedern des Gemeindekirchenrates klargemacht, daß der Auftritt der Künstler „mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verhindert wird“. Kurz vor Veranstaltungsbeginn fuhren dann demonstrativ Kleinbusse der Staatssicherheit vor der Dorfkirche auf. Daß die rund 40 Stasi–Leute ausstiegen und die Kirchenempore besetzten, war überflüssig: Pfarrer und Gemeinde hatten dem staatlichen Druck bereits nachgegeben und hielten statt des geplanten Kabarettabends eine Andacht. Und es gab noch weitere Eingriffe der staatlichen Stellen in die Unabhängigkeit der Kirchen: Als Krawczyk am vergangenen Freitag zur Volkspolizei vorgeladen wurde, wurde ihm dort auch für kirchliche Räume ein Auftrittsverbot erteilt. Ein bislang einmaliger Vorgang: Bisher entschieden die DDR–Kirchengemeinden selbständig, wen sie in ihren Räu– Fortsetzung auf Seite 2 men auftreten ließen. Zur Begründung des Auftrittsverbots erklärte die Polizei dem Künstler: „Sie wollen den Sozialismus, so wie er besteht, kaputtmachen und nehmen Bezug auf Veränderungen, die es nicht gibt. Wir können und wollen dies nicht zulassen.“ Klier und Krawczyk hatten in ihrem offenen Brief geschrieben, „Gorbatschows Kurs der Offenheit und Umgestaltung“ sei „der einzig mögliche Weg, um sozialistische Demokratie in allen Bereichen des politischen Lebens wirkungsvoll zu entfalten“. Bei Verstoß gegen das Auftrittsverbot hat die Volkspolizei eine „Ordnungsstrafe beginnend bei 500 Mark“ angedroht. Als rechtliche Grundlage des Verbotes wurde das Versammlungsgesetz der DDR genannt. Dieses Gesetz schreibt vor, daß Veranstaltungen „das sozialistische Zusammenleben fördern“ müßten. Einzig eine Gemeinde in Hirnow bei Cottbus widersetzte sich dem staatlichen Druck: Zwar hatte der Rat des Bezirkes Cottbus ein Verbot der Aufführung erlassen und Einzelgespräche mit den Gemeindekirchenratsmitgliedern geführt, mit zweistündiger Verspätung wurde das Kabarett „Pässe Parolen“ dann doch aufgeführt. Die Zuschauer hatten sich mit ihren Gemeindekirchenräten solidarisch erklärt und sofort Geld für die zu erwartenden Ordnungsstrafen gesammelt.
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