Steuersenkungsfieber geheilt

Immer sind die Amerikaner um eine Nasenlänge vorn. 1986 legten sie eine Steuerreform vor, die Ronald Reagans Eigenlob zur „modernsten Steuergesetzgebung der Welt“ erklärte. Nicht nur bekannte Claqueure des konservativen Flaggschiffs wie Thatcher und Kohl spendeten Beifall, der sozialistische französische Finanzminister war ebenso beeindruckt wie SPD–Steuerexperten im Bundestag. In der Tat gelang dem Reformwerk des demokratischen Congressman Dan Rostenkowski und des republikanischen Senators Robert Packwood so etwas wie die Quadratur des Kreises: den herrschenden Kreisen wurde so geschickt genommen und gleichzeitig gegeben, daß sie sich eben nicht zum Putsch gegen die dafür verantwortliche dreiste Regierung entschlossen. Die Konstrukteure der US–Steuerreform beseitigten fast alle seit dem Zweiten Weltkrieg von den verschiedenen Administrationen an Großkonzerne und die Superreichen vergebenen Steuerpräferenzen - damit wurde eine große Übersichtlichkeit des Steuersystems erreicht und vor allem auch die meisten Schlupflöcher zur Steuerhinterziehung verstopft. Die neuen steuerlichen Verhältnisse hätten der Staatskasse so manches einbringen können, bedenkt man etwa, daß noch im Jahr 1985 die 128 Großkonzerne dank der alten Präferenzen keinen Cent Gewinnsteuer hatten zahlen müssen. Aber es war ja eben Teil der „Doppelstrategie“ der Reformer - und damit befanden sie sich auch voll im Einklang mit dem Reaganschen Wahlversprechen, die Steuern auf keinen Fall zu erhöhen, sondern sogar zu senken -, dieses Geld wieder mit vollen Händen auszugeben. Sie reduzierten die 14 Einkommenssteuersätze auf zwei; der niedrigste liegt jetzt bei 15, der Spitzensatz bei 28 Prozent. Das war nun wirklich ein Geschenk des Himmels, denn der Spitzensteuersatz hatte bis dato zwar auch schon niedrig, aber immer noch bei 50 Prozent gelegen. Unters Volk wurden die gestrichenen Präferenzen damit zwar nicht verteilt, aber da gleichzeitig auch für über sechs Millionen US– Bürger mit niedrigstem Einkommen - knapp über der Armutsgrenze - Steuerfreiheit beschlossen wurde, konnte das US–Finanzministerium auch konjunkturpolitisch Vollzug melden: Viele Steuerzahler - und eben nicht nur die wenigen Reichen - würden nach der Reform mehr Geld für Konsum in die Hände bekommen. Alles in allem eine Kunde, die an Staatsverdrossenheit und Steuerhinterziehung gewohnte Politiker aufhorchen lassen mußte. Aber es war nicht nur die insbesondere auf alle wohlbetuchten Wähler magisch wirkende Botschaft der Steuersenkung, die Regierungen in den anderen großen westlichen Industrieländer ins Rotieren brachte. „Nachdem die USA zur Beinahe–Steuer–Oase geworden sind, würde ich als ausländischer Finanzminister tief beunruhigt sein.“ Das erkannte schon im November 1986 Sanford Goldberg, der Chef eines großen New Yorker Steuerbüros. Was sich abzeichnete, war der Kapitaltransfer wie auch die Verlagerung von Steuerwohnsitzen bei denjenigen, die rechnen und es sich leisten konnten. Die USA wurden zu einer Adresse, die es unter Steuergesichtspunkten mit Lichtenstein und den Bahamas aufnehmen konnte. Neben innenpolitischen Gründen wurde die Sorge vor dem Abwandern des großen Geldes und potenter Spezialisten rund um den Globus zu einem Argument für Steuersenkungen und zwar subito. Schon auf die Entwürfe der US– Steuerreform hatten einige Länder reagiert. Singapur verringerte seine Steuer auf Unternehmensgewinne schon im März 1986 von 40 auf 33 Prozent. Zur gleichen Zeit übernahm die konservative Koalition in Frankreich die Regierungsgeschäfte und ließ sich auch nicht lumpen: Für Unternehmen wurde die Steuerquote von 50 auf 45 Prozent, für Spitzenverdiener von 65 auf 58 Prozent gesenkt. Margaret Thatchers erklärtes Ziel ist es, den Spitzensatz auf 50 Prozent zu bringen. Das ist durchaus glaubwürdig, schließlich war sie es, die 1979 die Steuersenkungsschraube in Gang setzte: Damals rutschte der Spitzensteuersatz von 83 auf 60 Prozent. Die bundesdeutsche Steuerreform und das Tempo, mit der sie derzeit betrieben wird, hat alle Anzeichen des Nachklapperns. Der Börsenkrach vom 19. Oktober hat auch die Top–Themen der Steuerdebatte entwertet. Nachdem klargeworden ist, daß das Haushaltsdefizit der USA ebenso wie vorher die Steuerreform als eine entscheidende Unfallursache betrachtet wird, setzt die Reagansche Politik - auch unter dem Druck der eigenen Opposition - andere Akzente. Der Crash hat das Steuersenkungsfieber mit dem Holzhammer kuriert. Nicht einmal Steuererhöhungen zur Verringerung des Haushaltsdefizits werden ausgeschlossen. Eine totale Kehrtwendung, bei der die USA mal wieder vorneweg sind. Georgia Tornow