Ceausescus Rumänien auf dem Weg in den Ruin

■ Der Aufstand von Kronstadt hat vor allem wirtschaftliche Ursachen / Ceausescu regiert das Land mit seinem Clan wie ein Diktator / Lebensmittel, Öl, Benzin, Zigaretten - alles ist knapp / Ungewisse Zukunft für die Demonstranten von Kronstadt

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Nichts Gutes zu erwarten haben die Arbeiter des Lastwagenwerks Steague Rosu (Rote Fahne) in Kronstadt (Brasov), die vor einer Woche gestreikt und das örtliche Rathaus sowie die Parteizentrale gestürmt haben. Militär ist eingerückt, um der überlasteten Polizei zu helfen. Daß das gelingt, ist trotz des vehementen Aufbegehrens keine Frage. Um die Menschen in der größten Stadt des ehemals mehrheitlich von deutschsprachigen „Sachsen und Schwaben“ bewohnten Teiles Siebenbürgens muß man Angst haben, obwohl nach Streiks vor vier Jahren in demselben Werk „nur“ Entlassungen angedroht wurden. Bei anderen Vorfällen in den letzten Jahren schlug der repressive Arm des Ceausescu–Regimes zu: die Securitate, der rumänische Geheimdienst, hat die Gefängnisse gefüllt. Erschreckender noch: viele Menschen sind nach Informationen aus dem Lande und „amnesty international“ ähnlich wie in Lateinamerika einfach verschwunden. Der Geheimdienst ist das einzige - so ein Spruch aus Rumänien -, „was wirklich funktioniert.“ Von der Wirtschaft kann man dies nicht behaupten. Die wichtigsten Lebensmittel sind rationiert, aber nicht einmal die zugewiesenen Lebensmittelkarten sind eine Garantie dafür, daß die Rumänen etwas dafür bekommen. Offiziell soll jeder 300 Gramm Brot pro Tag erhalten und monatlich stehen den „Verbrauchern“ 500 Gramm Schweinefleisch, 200 Gramm Käse, ein halber Liter Speiseöl, ein Kilo Zucker, fünf Eier, zwölf Liter Milch sowie 100 Gramm Butter zu. Doch oftmals stehen die Menschen vor leeren Regalen. 500 Gramm Mehl gibt es nur einmal in drei Monaten, Kaffee, Südfrüchte und andere Importwaren sind vollständig vom Markt verschwunden. Wer keine Verwandten auf dem Lande hat, weiß, daß es auch im Sozialismus Hunger gibt. Mangel herrscht bei Toilettenpapier, Seife, Vitaminen und (die Nichtraucher mögen verzeihen) bei Zigaretten. Für ein paar Liter Benzin bilden sich lange Schlangen vor den Tankstellen. Das war nicht immer so im Reiche Ceausescus. In den sechziger und auch noch in den siebziger Jahren sahen westliche Kapitalgeber rosige Zukunftsaussichten des Landes und liehen dem „Führer“ viele Dollars, zumal Ceausescu mit seiner von der Sowjetunion sich absetzenden Außenpolitik für Sympathien im Westen sorgte. Im Zeichen des Ölbooms investierte der Staat in riesige Petroverarbeitungskombinate, Stahlwerke und andere Prestigeobjekte. Mit dem Preisverfall des Öls 1974 waren plötzlich Überkapazitäten geschaffen, Ceausescus Wirtschaftswunder brach in sich zusammen. Was blieb war ein Schuldenberg von über zehn Milliarden Dollar. Seit Anfang der achtziger Jahre müssen die Rumänen für die falschen Investitionsentscheidun gen und die verfehlte Wirtschaftspolitik des Ceausescu–Clans bezahlen. Um die nötigen Devisen zu erwirtschaften, werden die sowieso schon knappen Lebensmittel ins Ausland exportiert. Das ehemals Energie exportierende Land kann nicht einmal für den nötigen Strom zum Kochen sorgen. Nach den beiden letzten Wintern, denen die Heizungen rigoros auf zwölf Grad eingestellt wurden, sind die Aussichten für diesen Winter noch schlimmer. Durch die Dürre dieses Sommers wurden die Pegel der Stauseen auf einen so niedrigen Stand abgesenkt, daß mit dem Zusammenbruch der Stromprodukion per Wasserkraft (18 Prozent der gesamten Stromproduktion) zu rechnen ist. Die beiden veralteten Kohlekraftwerke des Landes in Turceni und Rovari konnten wegen der schlechten Qualität der Kohle im ersten Halbjahr diese Jahres nur ein Viertel der zu erwartenden 3.700 Megawatt produzieren. Und bei einem Hochfahren der Ölkraftwerke fehlt die Möglichkeit des Exports für das ehemals schwarze Gold zur Schuldentilgung ins Ausland. Die Führung muß sogar befürchten, Öl importieren zu müssen. Hatte es vorher in Regierung und Partei niemand gewagt, die Politik Ceausescus zu kritisieren, der wie ein Feudalherr 80 seiner Verwandten auf hohe Posten in Staat und Gesellschaft untergebracht hat, tauchen nun doch einige kritische Stimmen in der Parteihierarchie auf. Wenn auch die relative Freiheit und Kritik der Parteipresse gegenüber den Verantwortlichen für die Energie in diesem Sommer noch immer auf der Linie des Parteiführers liegt, Minister auszutauschen, so deutete der Sprecher des Energieministeriums Tiberiu Comanescu im August erstmals die Mitschuld der obersten Führung an der Misere an. Er kritisierte in der Zeitung Roman Libera, daß die Bewässerungssysteme nicht nur das Wasser aus den Stauseen abzögen, sondern auch noch unmäßig viel Energie verbrauchten. Ob die Rebellion in Kronstadt einer weiterführenden Kritik an Ceausescu in der Staats– und Parteiführung Auftrieb gibt, bleibt abzuwarten. Für viele Rumänen jedenfalls ist offensichtlich jetzt die Schmerzgrenze erreicht.