: Atomschrott–Hatz zum Hafen Lübeck
■ Rasende Stunden auf der Autobahn / Von Münster bis Lübeck störten Atommüll– GegnerInnen den Transport abgebrannter Brennelemente / Dünner Erfolg
Von der A1 Dietmar Bartz
Am Rasthof Dammer Berge bei Osnabrück trifft man kurz vor Mitternacht nur eine Handvoll AtommüllgegnerInnen: „Wir haben uns aufgeteilt“, erklärt eine Aktivistin. Durch kurze Telefonate mit Info–Stellen bleiben wir auf dem Laufenden. „Um halb zwölf waren sie in Gießen.“ Halb eins: „Sie sind in Siegen.“ Eins: „Am Kamener Kreuz.“ Sie - das sind die beiden blauen LKWs aus Hanau, auf deren Aufliegern die Behälter mit abgebrannten Brennelementen verzurrt sind, die im AKW Kahl eingelagert waren. Alle vier Wochen wird Atommüll Richtung Lübeck verfrachtet, von wo ihn das Spezialschiff „Sigyn“ zu einem Zwischenlager nach Schweden bringt. Am Dienstag bis zum Mittwoch morgen wurde der Transport von Atomgegnern durch die ganze Republik gejagt. Bundesweit hatten sich Atommüll– Gruppen darauf vorbereitet, den Transport heftig zu erschweren. Die erste Erfolgsmeldung kommt ausgerechnet über den Verkehrsfunk. Um zwei Uhr heißt es wörtlich: „15 Kilometer Verkehrsbehinderung zwischen Ascheberg und Münster durch demonstrierende Verkehrsteilnehmer.“ Zwanzig langsam fahrende Autos brachten den Verkehr - und den Transport - zeitweilig zum Stillstand. Eine Stunde später: 15 Autos aus Hannover werden bei Osnabrück auf den Parkstreifen gezwungen und mehr als zwei Stunden lang an der Weiterfahrt gehindert. Dort haben sich kurz vor drei Uhr 30 bis 40 Fahrzeuge an einer „Stop and Go“–Blockade beteiligt. Viertel nach drei. Von einem kleinen Parkplatz aus beobachte ich die Autobahn. Plötzlich braust ein Streifenwagen heran, stellt sich schräg vor meinen Wagen. Presseausweis nutzt nix. Fast gleichzeitig huscht eine lange Kette Blaulichter auf der Autobahn vorbei, dann die beiden LKWs, dann wieder Streifenwagen mit Blaulicht. Der Polizei–Daimler vor mir rast wieder los - schwierig, den Anschluß zu halten. An den Streifenwagen am Ende des Konvois ist kein Vorbeikommen - drei fahren nebeneinander auf der zweispurigen Autobahn. Wo sind denn die MüllgegnerInnen, die angeblich überall warten? Auf Seite 2 Die kommen nach und nach von hinten heran - fast alle sind von der Geschwindigkeit des Konvois, gute 100 Stundenkilometer, überrascht worden und hatten keine Zeit mehr, vor dem Transport auf die Autobahn zu gelangen. Andere Autos stehen auf dem Randstreifen - sie wurden von Streifenwagenbesatzungen abgedrängt und gestoppt. Alle versuchen wieder nach vorne zu kommen - die Standspur wird zur Fahrspur. Tempo 100 bleibt, leichter Niesel beginnt. Hektisches Hin– und Hergekurve, wenn ein Lastwagen überholt wird. Nach zehn Minuten sorgen die Blaulichter im Dauerbetrieb für schmerzende Augen. Die Auffahrten aller Parkplätze und Anschlußstellen der Autobahn sind abgesperrt. Hinter dem Bremer Kreuz halten vielleicht fünfzig FahrerInnen den Anschluß. Dann bremsen plötzlich alle, gehen auf 50 Stundenkilometer zurück. Die beiden Atommülltransporter scheren nach links aus. Martinshörner, Schreie aus den Außenlautsprechern: „Rechts ran!“ Ein Dutzend Autos mit Lüneburger und Lüchow– Dannenberger Kennzeichen sind von der Polizei scharf ausgebremst worden, stehen durcheinander oder rollen auf dem Parkstreifen und der rechten Fahrbahn. Unmöglich zu erkennen, ob etwas passsiert ist - sofort geht das Tempo wieder auf 100 hoch. Der Regen wird stärker, der Asphalt glitschiger. Auch in Hamburg stehen „Ausgebremste“, holen wieder auf. Überholversuche werden von ihnen, scheints, ernster gemeint - sie kleben wie die Hornissen hinter, manchmal sogar zwischen den Streifenwagen: Dann bleiben nur zwanzig Zentimeter zwischen den rostigen Karren und den grün– weiß lackierten Türen. Hinten ists sehr viel ungefährlicher. Wenn jetzt ein Unfall passiert... Und dann, kurz vor dem Zielort, schafft es ein kleiner Renault tatsächlich, sich vor einen der beiden Transporter zu setzen. Der schert wild nach rechts und links aus - nach einer halben Minute sind Zivis da und zwingen ihn, den LKW wieder vorbeizulassen. Abfahrt Lübeck–Hafen, Berufsverkehr. Zehn Streifenwagen, die beiden LKWs, ein halbes Dutzend Polizeiautos, dahinter die „Störer“ - alle hintereinander brettern durch einen Kreisverkehr. Rote Ampeln bleiben unbeachtet. Eine blauleuchtende Lawine mit wildhupendem Anhang wälzt sich durch kleine Straßen, die frühen Passanten sind absolut fassungslos. Dann abrupt das Tor zum Hafen, eine halbe Hundertschaft davor. Einige AKW–GegnerInnen wenden, andere werden kontrolliert. 7 Uhr 5. Die Heckklappe der „Sigyn“ steht weit offen. Die Atommüll–Ladung eines Zuges aus Heilbronn ist schon drin. Kaum eine Viertelstunde später stehen die beiden Behälter von den LKWs daneben. Die Klappe schließt sich, das Schiff legt sofort ab. Die „Sigyn“ hat eine Stunde Verspätung.
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