Terror verhinderte die Wahlen auf Haiti

■ Anhänger Duvaliers haben ihr Ziel erreicht: Die ersten freien Wahlen nach 30 Jahren wurden ausgesetzt Übergangsregierung scheut Demokratisierung / USA unterstützt das machthungrige Regime

Aus Managua Rita Neubauer

Der Terror hat wieder einmal in Haiti obsiegt. Nur wenige Stunden nach der Öffnung der Wahllokale holten die Anhänger des 1986 gestürzten Diktators Jean–Claude Duvalier zu ihrem letzten Schlag gegen das Volk aus. Bewaffnete Gruppen stürmten ein Wahllokal in der Hauptstadt Port–au–Prince und erschossen 17 Personen. Insgesamt starben wenigstens 47 Menschen bei den oft amokartigen Angriffen, die auch vor Kirchen und Radiostationen nicht halt machten. So wurde z. B. die Radiostation „Radio Soleil“ von einer Explosion völlig zerstört. Ihr Ziel, die ersten freien Wahlen nach 30 Jahren zu unterbinden, haben die „Duvalieristen“ damit erreicht: Das provisorische Wahlgremium (CEP) annullierte die Wahlen. Seit Wochen erschütterten Gewalt und Anarchie den karibischen Inselstaat, ohne daß die Regierung von General Henry Namphy etwas gegen die irregulären Kräfte unternahm. Die Regierung schritt erst zur Tat, als Ernst Mirville, der Chef des CEP, die Aussetzung der Wahlen ankündigte. Daraufhin löste der General das Gremium per Dekret auf. Die Begründung: das Wahlgremium habe ausländische Kräfte eingeladen, sich in die „inneren Angelegenheiten des Landes“ einzumischen. Mit dieser Entscheidung hat die Übergangsregierung erneut bewiesen, daß sie an einem Demokratisierungsprozeß auf Haiti nicht interessiert ist. Bereits im Juni versuchte der General, Wahlvorbereitungen zu kontrollieren und das Wahlgremium auszuschalten. Er mußte die Entscheidung rückgängig machen, als das Volk mit massiven Demonstrationen und Generalstreik sich diesem Versuch widersetzte. Das CEP mußte die Wahlen unter wachsendem Terror von seiten der Schergen des alten Regimes organisieren. Die „Tontons Macoutes“, die ehemalige Sicherheitstruppe Duvaliers, die von der Übergangsregierung nie entwaff net oder zur Rechenschaft gezogen worden war, wurden schnell als Verantwortliche entlarvt. Das Militär steht im Ruf, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen und diese auch mit Waffen zu versorgen. Als das CEP zwölf der 35 Kandidaten wegen ihrer Liaison zur Duvalier–Diktatur von der Wahl ausschloß, brannte das Hauptquartier des Gremiums, wurden Kandidaten und Gremiumsmitglieder mit dem Tode bedroht. In den ärmsten Stadtvierteln organisierten die Bewohner eigene Wachmannschaften, um sich gegen umherziehende Banden zu schützen. Sie wurden verboten, als die Wachmannschaften Selbst justiz übten und gegen die bewaffneten Gruppen vorgingen. Schuld an dieser Entwicklung tragen auch die Vereinigten Staaten, die bis zuletzt äußerst moderat auf die Menschenrechtsverletzungen in Haiti reagierten. Der Forderung der Bevölkerung wie der Kirche, massiv Druck auf die Regierung Namphys auszuüben, kamen die USa nicht oder in offenbar ungenügender Weise nach. Wie im Fall von Duvalier unterstützen die USA wieder einmal eine Regime, das seine einmal erlangte Macht nicht zugunsten gewählter Regierungen abtreten will. Erst mit dem blutigen Höhepunkt des „Tontons Macoutes“– Terrors am Wochenende und nach der diktatorischen Auflösung des Wahlausschusses durch General Namphy sah sich das State Department in Washington zu Konsequenzen genötigt. Noch am Sonntag wurde mit sofortiger Wirkung die US–amerikanische Militärhilfe ausgesetzt und ein Teil der Wirtschaftshilfe gestrichen, die Haiti dringend benötigt. Der wichtigste Zweig der Wirtschaft, die Landwirtschaft mit dem Anbau von Kaffee, Zuckerrohr, Reis, Mais, Baumwolle, Tabak, leidet seit Jahren an der durch die Erosion hervorgerufenen Dürre, eine Folgeerscheinung der intensiven Rodung des tropischen Regenwaldes. Die Schweinezucht wurde durch Viehseuchen dezimiert. Noch verdient das Land ein wenig an dem Abbau von Bauxit und der Leichtindustrie. Der Tourismus auf der „Perle der Antillen“ ist schon seit einigen Jahren rückläufig. Die großen sozialen Unterschiede, die enorme Arbeitslosigkeit, eine Analphabetenrate von 80 Prozent sowie die zyklischen Naturkatastrophen haben das Land trotz ausländischer Hilfe zu einem der ärmsten Länder der Welt werden lassen. Wie es in Haiti weitergeht, ist so unsicher wie nie zuvor. Die Chancen, daß der Inselstaat nach Jahren der Willkürherrschaft zur Ruhe kommt, sind äußerst gering. Von dem prophezeiten Bürgerkrieg ist Haiti nicht weit entfernt.