: „Grüner Bauerntag“ - Auf der Suche nach Verbündeten
■ Absage an die Späthsche Politik des Berufswechsels vom Bauern zum Landschaftspfleger / Zusammenarbeit mit Verbrauchern, Naturschützern und 3.–Weltinis
Aus Würtingen Karl F. Rommel
Wird die „Ökologie“ zum Hebel, um die Hälfte aller Bauern aus der landwirtschaftlichen Produktion zu drängen, und führt die gegenwärtige Agrarpolitik zu einer Zweiteilung der Landwirtschaft, hier staatlich–subventionierte Landschaftspfleger, dort umweltzerstörende Agrarfabriken? Zwei Fragen, die im Mittelpunkt des zweiten „Grünen Bauerntages“ am vergangenen Wochenende in St.–Johann–Würtingen auf der Schwäbischen Alb im Kreis Reutlingen standen. Die Schärfe, mit der vor allem der Landtagsabgeordnete der Grünen im baden– württembergischen Landtag, Rezzo Schlauch, mit der Agrarpolitik im Ländle ins Gericht ging, ist wohl allein mit den in vier Monaten anstehenden Landtagswahlen nicht zu erklären. Was in Baden– Württemberg derzeit an Strukturpolitik für die Landwirtschft vorexerziert wird, könnte aus der Sicht der Grünen durchaus zum düsteren Modell für die Bundesrepublik werden. Der Schutz von Wasser– und Naturschutzgebieten - Stichwort „Wasserpfennig“ - wird von der Landesregierung als Hebel benutzt, eine Extensivierung von landwirtschaftlichen Flächen gesetzlich durchzusetzen. Aus Bauern sollen vom Staat bezahlte Landschaftspfleger werden. Nicht Nahrungsmittel, sondern Landschaft soll jetzt produziert werden, so lautet die neue staatliche Vorgabe. Ganze Gebiete werden auf diese Weise aus der Produktion gedrängt, die Entschädigungen reichen bei weitem nicht aus, die Einkommenseinbußen der Landwirte auszugleichen. Mehrfach fiel auf dem Bauerntag das Wort von der „Sterbehilfe“. Zwei Drittel aller baden– württembergischen Bauern, so schätzt Schlauch, werden bei dieser Entwicklung auf der Strecke bleiben, während die übrige Landwirtschaft rund um die Schutzgebiete und in sogenannten Gunstlagen weiter intensivieren muß, um überleben zu können, und damit die Natur noch nachhaltiger schädigt. „Wir als Verbraucher können die Auswirkungen des täglichen Agrarwahnsinns nicht mehr tatenlos hinnehmen“, meinte Schlauch. Friedrich–Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Europaabgeordneter der Grünen, hatte zu Beginn des Bauerntages die gegenwärtige Situation der Landwirtschaft in der Bundesrepublik skizziert: Täglich gehen 40 bis 50 Betriebe kaputt, ein Drittel aller Einkommen liegt unter dem Sozialhilfesatz und jeder zweite Landwirt lebt bereits von der Substanz seines Grundvermögens. Jeder Hektar Bauernland ist durchschnittlich mit 5000 Mark verschuldet. Vor allem die Mittel– und Kleinbetriebe werden durch die gegenwärtige Politik eines fallenden Preises systematisch vernichtet, und dies liege durchaus im Interesse der EG und auch der Bundesregierung, die einen rücksichtslosen Konzentrationsprozeß in der Landwirtschaft förderten. Das Ergebnis dieses Strukturwandels, hin zu immer mehr agroindustriellen Produktionsweisen, sei nicht allein die Vernichtung einer Vielzahl von Existenzen. Jahrhundertelang habe die bäuerliche Landwirtschaft die Kulturlandschaft geschaffen und gepflegt. Die Vernichtung der bäuerlichen Landwirtschaft führe auch zu einem Sterben der Natur und dem Verlust von an Qualität orientierten Lebensmitteln. Deshalb sei es an der Zeit, neue Verbündete zu suchen für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft. Graefe zu Baringdorf sieht diese neuen Verbündeten der Bauern in den Verbrauchern, den Naturschützern und den Dritte–Welt–Initiativen. Futtermittelimporte aus der Dritten Welt verursachten nicht nur die Vernichtung von Anbauflächen für die Nahrungsmittelerzeugung dort, sondern seien ein wesentlicher Beitrag zur Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft in der Bundesrepublik. Mit ihnen ist nach Auffasssung der Grünen eine bodenunabhängige Intensivierung der Landwirtschaft erst möglich geworden. Gleichzeitig belastet die dadurch verursachte Gülleüberproduktion den Naturhaushalt und das Wasser. Mit der Politik, ausgerechnet dort Wasser– und Naturschutzgebiete auszuweisen, wo in der Vergangenheit bäuerliche Landwirtschaft in kleinen und mittleren Strukturen betrieben wurde, bestrafe man ausgerechnet die Betriebe, die sich bisher schon vernünftig verhalten hatten, meinte Graf zu Baringdorf. Die Einführung flächengebundener Bestandsobergrenzen, mit derdie Agrarindustrie in die Schranken gewiesen werden könnte, war deshalb eine der Hauptforderungen auf dem Bauerntag. Hier setzte auch Wolfgang Reimer vom „Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL) an: Die EG habe vor allem den USA in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen der Nahrungsmittelproduktion den Rang abgelaufen. Jetzt schlage die USA mit massiven Preissenkungen zurück. Damit komme die EG in den Zwang, ihre garantierten Preise für die Bauern zu senken. Dies bedeute das Aus für viele mittlere und kleine Landwirte in der Bundesrepublik, denn „nicht ein Hauch von dem, was den Bauern durch die Preissenkungen verloren geht, kann durch staatliche Einkommensübertragungen ausgeglichen werden“, meinte Reimer. Langfristig werde der Staat die Landwirtschaft nicht per Haushalt erhalten. Deshalb versuche man, die der EG teuer gewordenen Klein– und Mittelbetriebe mit Vorruhestandsregelungen, Sozialprogrammen und Umschulungsmaßnahmen, Quotenkürzungen und Mitverantwortungsabgaben aus der Produktion zu drängen. Mit den billiger produzierenden Agrargroßbetrieben wolle die EG am Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben, konstatierte Reimer. Im Gegensatz dazu hat man beim AbL Konzepte zur Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft erarbeitet, die in den letzten Monaten auch Eingang in grüne Programmatik gefunden haben. Kern der AbL– Vorschläge ist ein gestaffelter Preis. Grundproduktion soll hier hoch bezahlt werden, während ein immer mehr produzierender Betrieb auch einen immer niedrigeren Preis für seine Produkte bekommt. Damit würde nicht nur der Zwang zur Intensivierung aufgehoben, im AbL glaubt man, so auch die Überproduktion, die man den hochintensiven Großbetrieben anlastet, abbauen zu können und gleichzeitig auch zu einer umweltverträglicheren Landwirtschaft zu kommen. „Wenn wir nicht die Preispolitik ändern, bekommen wir auch keine umweltverträgliche Landwirtschaft“, meinte dazu Wolfgang Reimer. Um den einzelnen EG–Ländern wieder mehr Kompetenzen zu geben, spricht sich der AbL für nationale Obergrenzen in der Produktion und eine konsequente Regionalisierung der Agrarpolitik aus. Doch nicht reine EG–Politik bestimmte diesen zweiten Bauerntag der Grünen. In den Arbeitsgruppen diskutierte man vor allem darüber, wie denn die neuen Bündnisse zwischen Bauern, Naturschützern und der Ditten Welt zu gestalten seien. Von der Förderung der bäuerlichen Direktvermarktung bis hin zu einer Änderung der EG–Handelsklassenverordnung, die nach Auffassung der Grünen die Qualität der Lebensmittel in den Vordergrund stellen müsse, reichten die Vorschläge. Kontrovers wurde auch eine staatliche Förderung des biologischen Landbaus diskutiert. Während vom AbL betont wurde, daß dies allein zu wenig sei, um eine Wende in der Agrarpolitik zu bewirken, glaubt man bei Bioland eine Wettbewerbsverzerrung fürchten zu müssen, wenn jetzt die Umstellung auf biologischen Landbau plötzlich mit 5000 Mark pro jahr und Hektar gefördert würde, wie es ein Gesetzentwurf der Grünen vorsieht.
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