: Frankreichs Kommunisten bunkern sich ein
■ Noch einmal hat KPF–Chef Marchais die schmelzende Schar seiner Anhänger versammeln können: Der 26. Parteitag der Kommunisten steht unter dem Zeichen des Ausschlusses und der Leugnung innerparteilicher Opposition / Juquin, der Präsidentschaftskandidat der Erneuerer, liegt laut Umfragen nur noch knapp hinter der KPF
Aus Paris Georg Blume
Mühsam ist der Weg zum Parteikongreß. Er führt durch die graue Pariser Vorstadt von St. Ouen. Doch ich habe Glück. Ein alter Mann, den ich nach der Richtung frage, will mich begleiten. Natürlich ist er Kommunist. Im roten Vorstadtgürtel um Paris war einst jeder Kommunist. Heute ist er pensioniert. Früher war er Angestellter der Stadt. Und als solcher bereitete er alle Parteikongresse vor. Rückte Stühle und rollte Teppiche aus. Dabei geschah es dann auch, daß er den Generalsekretär persönlich, Georges Marchais, traf. Der alte Mann erzählt mit Ehrfurcht und Stolz. Es ist einer der selten gewordenen Augenblicke, der spüren läßt, was Kommunismus in Frankreich einst bedeutete. Solche Augenblicke sind dem 26. Parteitag der KPF fern. Hier tagt die KPF der achtziger Jahre, irgendwo auf ihrem Weg von der Volkspartei zur kämpferischen Polit–Sekte. Über den Niedergang der Volkspartei ist viel geschrieben worden. Heute entscheidet die Partei endgültig, daß es für sie kein Zurück aus der Isolation mehr gibt. Der 26. Parteitag wird derjenige sein, der erbarmungslos alle interne Opposition vertilgte und die Partei derart in eine ungewisse Zukunft entließ: Fortan sind die französischen Kommunisten, erstmals seit dem Gründungskongreß der KPF 1921 in Tours, eine gespaltene Bewegung. Erstmals kann Frankreich bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr zwischen zwei Kandidaten wählen, die sich beide kommunistisch nennen. Pierre Juquin, Ex–Politbüromitglied und noch bis zum Juni dieses Jahres im Zentralkomitee der Partei, deren populärster Kritiker er seit Jahren ist, kandidiert. Er kandidiert gegen alle, Rechte und Sozialisten, doch jeder weiß es: Er kandidiert vor allem gegen den offiziellen Kandidaten seiner alten Partei, gegen den Bauernsohn Andre Lajoinie. Das Jagdrevier Juquins bilden die traditionellen KPF–Wähler. Schon zeigen es die Umfragen. Vier oder fünf Prozent versprechen sie der KPF gerade noch. Das würde eine erneute Halbierung der kommunistischen Wählerstimmen bedeuten, die bereits von 1979 bis 1986 von 20 auf rund zehn Prozent gesunken waren. Diese anhaltende Tendenz dramatischer Stimmenverluste bei Wahlen, mit der sich die Parteiführung - solange die Wähler zu den Rechten oder zu den Sozialisten abwanderten - abgefunden hatte, wird jetzt für die KPF gefährlich. Denn Juquin und die ihm folgende Bewegung der „Renovateurs“ (Erneuerer) kann auch ideologisch mit ihr konkurrieren. In den Umfragen liegt Juquin mit drei oder vier Prozent nur noch einen Punkt hinter Lajoinie. Und seine Thesen verwirren alle. Die Kandidatur Juquins Während Marchais am Mittwoch von der Kanzel des Parteitages predigt, die KPF sei die einzige französische Partei, die die Abrüstung wolle, ist es Juquin und nicht die KPF, der den Abbau der „force de frappe“ fordert. Während Marchais seine Partei nochmals als einzigartig preist, weil sie sich beispielslos für die Ausländer einsetze, ist es dennoch Juquin, der allein das Wahlrecht für Ausländer fordert. Verwirrt ist deshalb auch Aldo, ein 23jähriger Drucker aus Nanterre bei Paris, der auf dem Parteitag linientreue Bücher verkauft. „Juquin nimmt sich die Themen, die in Mode sind“, erklärt Aldo, will zunächst weiter gar nichts sagen, erzählt dann aber doch: „Ich habe das Programm von Juquin gelesen. Da sind Dinge drin, die nicht schlecht sind. Und wenn er das Gewicht des Parteiapparats kritisiert, hat er nicht vollkommen unrecht.“ So reden heute viele Kommunisten, ob Marchais will oder nicht. Er will natürlich nicht daran glauben. Eine Überraschung war es bereits, daß Marchais in seiner Eröffnungsrede Juquin mit Namen nannte. „Für sich betrifft uns Juquins Kandidatur nicht“, erklärte der Generalsekretär dem Parteivolk mit seiner bekannt eigenartigen Logik. „Und doch betrifft sie uns. Weil es offensichtlich ist, daß sie von allen Seiten nur gemacht wurde, um uns zu schlagen. (...) Ohne jeden Zweifel spekulieren die Kräfte des Konsenses auf diesen Betrug, (der darin besteht, daß man von zwei kommunistischen Kandidaten redet, G.B.) um die Ergebnisse unserer Partei zu fälschen.“ Man habe also verstanden: Wenn die KPF weiter Stimmen verliert, zumal an Juquin, dann nur weil die Wähler betrogen wurden. Wenig später gibt Marchais seine wohl größte Illusion preis. Nachdem er gegen Juquin und andere Parteikritiker den ewigen Vorwurf wiederholt, sie wollten zu einer Bündnispolitik mit den Sozialisten zurück, triumphiert er: „Diejenigen, die diese Positionen einst vertraten, sind geschlagen.“ Niemand ist geschlagen. Gerade darin besteht das neuerliche kommunistische Wunder in Frankreich. Erfolgreicher denn je organisiert sich seit einigen Monaten, nunmehr beflügelt durch die Juquin–Kandidatur, die Renovateur–Bewegung in– und außerhalb der Partei. „Wir begehen heute nicht den historischen Fehler früherer Dissidenten, einen brutalen Bruch mit der Partei zu fordern“, erklärt Gilbert Wassermann, bis 1985 noch Chefredakteur der Parteiwochenzeitung Revolution, nunmehr im „nationalen Koordinationskollektiv“ der Renovateure. Die Spaltung der KPF vollzieht sich derzeit in der Tat bruchstückartig und allmählich. Gerade deshalb wirkt sie tief. Im Renault–Werk von Douai, einer Stätte der historischen Verankerung der KPF, hat sich die Parteizelle unlängst zur Renovateurbewegung bekannt. Im „Arsenal“ von Brest, wo Frankreich seine Atom–U–Boote bauen läßt, revoltieren die Kommunisten nunmehr gegen die Parteiführung. Beim Reifenproduzenten Michelin in Clermond–Ferrand ist die KPF–Zelle aufgelöst, da ihre Mitglieder zu Juquin überliefen. Im Parteiverband des Department Doubs, wo die großen Peugeot– Werke stehen, hat man den Leitantrag für den Parteitag mit großer Mehrheit abgelehnt. Geschlossen will der Parteiverband nun, da die Parteiführung mit der Auflösung droht, zu den Renovateuren übertreten. In Saint–Ouen spult sich der Parteitag ab, ohne den Ereignissen zu folgen. Das Zentralkomitee der KPF, jeder Franzose kennt das Gebäude, tagt in einem Bunker mitten in Paris. Der Parteitag tagt seit langen Jahren auf einer Insel in der Seine. Der alte Mann begleitet mich nur ein Stück des Weges, bis zur Brücke. Vielleicht hat er Angst, daß die KPF–Insel eines Tages untergeht.
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