: Grüne fordern Amnestie für Blockierer
■ Weil das Abkommen über den Abbau der Mittelstreckenwaffen unterzeichnet wird, wollen die Grünen ein Amnestie–Gesetz für BlockiererInnen / Verfahren wegen Nötigung sollen eingestellt, Nötigungsparagraph soll geändert werden / Gewaltbegriff neu definiert
Aus Bonn Ursel Sieber
Reagan und Gorbatschow unterschreiben am Dienstag das Abkommen über den Abbau der Mittelstreckenwaffen, und diejenigen, die gegen diese Raketen protestiert haben, wurden und werden noch bestraft: Mit einer „umfassenden Amnestie“ will die Grünen–Fraktion diesen Zustand beenden. Sie hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der all diejenigen betrifft, die nach Sitzblockaden wegen Nötigung (§ 240 Strafgesetzbuch) angeklagt worden sind: Rechtskräftige Strafen sollen erlassen, anhängige Verfahren eingestellt und neue Verfahren nicht mehr eingeleitet werden. Allerdings fordern die Grünen nicht, daß alle rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren wieder neu aufgerollt werden sollen. Neben diesem Amnestie–Gesetz schlagen die Grünen auch vor, den Nötigungs–Paragraphen zu verändern. Beide Gesetzentwürfe sollen zu Beginn der kommenden Woche in den Bundestag eingebracht werden. Auch die Friedensbewegung hat auf ihrem „Großen Ratschlag“ am vergangenen Wochenende eine Amnestie gefordert. Das Abkommen „ist auch auf das vielfältige Wirken der Frie densbewegung zurückzuführen“, heißt es in der Begründung des Grünen–Entwurfs. „Statt ihnen Anerkennung zu zollen, sind Mitglieder der Friedensbewegung strafrechtlich belangt worden“; selbst zum jetzigen Zeitpunkt seien noch zahlreiche Strafverfahren anhängig. Eine Amnestie zum jetzigen Zeitpunkt bedeute, die Verdienste derjenigen anzuerkennen, „deren politisch sinnvolles Handeln von der Rechtsprechung mit dem Verdikt der Strafbarkeit belegt worden ist“. Eine Amnestie schaffe gleichzeitig eine gesellschaftliche Atmosphäre, „in der alle Mitglieder der Gesellschaft trotz unterschiedlicher politischer Auffassungen einen weiteren Schritt in Richtung Frieden gehen“. Und schließlich ermögliche die Amnestie „Rechtsfrieden“, wenn der den Verurteilungen zu Grunde liegende Gewaltbegriff geändert werde. Der Gewaltbegriff im geltenden Nötigungs–Paragraphen ist nach Ansicht der Grünen „moralisch infam“, „juristisch in höchstem Ausmaß umstritten und „rechtsstaatlich mehr als bedenklich“, da er „völlig konturenlos“ sei: Ob jemand wegen Sitzblockaden verurteilt oder freigesprochen werde, hängt immer mit davon ab, „wer wann wo vor welchem Ge richt steht“. Der Paragraph 240 sei daher kein allgemein gültiges Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht habe den Paragraph 240 zwar vor einem Jahr für verfassungsgemäß erklärt. Doch die Begründung und die abweichende Auffassung von vier Richtern habe bewirkt, daß die Unklarheiten über die Anwendung des Nötigungs–Paragraphen zugenommen hätten. Die Grünen wollen deshalb Gewalt so definieren: „Gewalt ... ist der Einsatz von erheblichen Körperkräften, technischen Einrichtungen oder chemischen Mitteln gegen den Körper von Personen.“ Wieviele Personen von einer solchen Amnestie–Regelung betroffen wären, ist unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen