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„Die Soldaten sollen Indiens Ehre retten“

Gespräch mit R. Shankar, Mitglied des Exekutivkomitees der tamilischen Guerillaorganisation EROS (Eelam Revolutionary Organisation). EROS, deren Führung von der palästinensischen PLO trainiert wurde, gilt als Außenseiter der tamilischen Guerilla, ihre Mitglieder werden als „intellektuelle Marxisten“ bezeichnet. Die Gruppe stand zeitweise in militärisch EROS. taz: Es scheint, als sei das Friedensabkommen in Sri Lanka gescheitert. Wer hat Schuld? R. Shankar: Wir sehen es noch nicht als endgültiges Scheitern an. Es ist ein schwerer Rückschlag, aber noch immer gibt es die Chance, einige Bestandteile des Abkommens zu retten. Die Schuld an der jetzigen Situation liegt bei allen: Indien, Sri Lanka, den tamilischen Militanten. Die Inder behaupten, sie hätten 950 tamilische Kämpfer getötet. In Briefen, die in der Bundesrepublik lebende Tamilen aus Colombo erhalten, ist von vielen Toten unter der Zivilbevölkerung die Rede. Wie stellt sich für Euch die Situation dar? Nach unseren Informationen wurden 500 indische Soldaten getötet, die doppelte Zahl verletzt. 1.000 - 1.500 tamilische Zivilisten sollen allein in der ersten Woche nach Beginn der indischen Offensive am 10.Oktober umgebracht worden sein. Das schlimmste ist das Leiden der Zivilbevölkerung, der Mangel an Lebensmitteln und medizinischer Versorgung. Zu bestimmten Zeiten hatten über 300.000 Tamilen in Tempeln und Schulen auf Jaffna Schutz gesucht, bis zu 20.000 Menschen an einem Ort. In manchen Flüchtingslagern hatten sie zwei, drei Tage lang nichts zu essen, kein Wasser. Langsam kehren sie jetzt in ihre Häuser zurück, Hilfsorganisationen versorgen sie. So eine große Zahl von Flüchtlingen hat es niemals zuvor in unseren Gebieten im Norden Sri Lankas gegeben. Dazu kommen die schweren Regenfälle - es ist jetzt Monsunzeit -, die unserem Volk ernorme Härten aufbürden. Wieviele indische Soldaten sind auf Sri Lanka? Für wen oder was kämpfen sie eigentlich? Es sind über 30.000 und wohl unter 40.000. Die indische Regierung - Premierminister Rajiv Gandhi, der Verteidiungsminister - hat immer gesagt, daß sie das Abkommen, komme was wolle, durchsetzen wird. Vorrangig für sie ist dabei die Entwaffnung der Militanten. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Inder ihre Truppen nochmal um 10.000 auf 50.000 aufstocken würden. Die Inder bewegen sich derzeit schon außerhalb der nördlichen und östlichen Gebiete, es würde mich gar nicht wundern, sie demnächst in den Teeplantagen im zentralen Hochland zu finden. Das Ganze ist eine Prestigefrage für die indische Regierung. Pakt um Pakt wurde unterzeichnet, im Punjab, in Assam, Nagaland, Mirzoram - und dann von der Realität überrollt. Das Gefühl macht sich breit, daß die politischen Berater auch dieses Abkommen mit Sri Lanka nicht gründlich durchdacht haben und in Präsident Jayewardenes Falle gegangen sind. Natürlich ist es jetzt schwierig für sie, ohne Gesichtsverlust da herauszukommen. Wieso Falle? Ist das etwa keine Falle, wenn Jayewardene alles, was er wollte, erreicht hat - unter Benutzung der indischen Armee: Entwaffnung der tamilischen Militanten, Vertreibung aus ihren Stellungen - ohne daß dafür ein einziger singhalesischer Soldat sein Leben hätte opfern müssen! Wie steht EROS zur Fortsetzung des Guerillakampfes gegen die Inder? Wir haben immer zum Ausdruck gebracht, daß wir mehr Diplomatie als direkte militärische Konfrontation anwenden sollten. Die Inder haben eine massive Armee, außerdem waren sie früher die einzigen Freunde der Tamilen. Man sollte sie nicht zu Gegnern machen, bevor man nicht alle anderen Mittel ausgeschöpft hat. Wir wissen, daß die Zeit auf indischer Seite ist, sie können das Ganze hinschleppen. In der militärischen Terminologie nennen wir das einen „low intensity protracted conflict“. Für sie ist der Nachschub von Männern, Material und Fahrzeugen einfach. Wir können uns diesen Luxus nicht leisten. Unser Standpunkt ist, daß man mit der Umsetzung des Abkommens viel besser als durch eine direkte militärische Konfrontation hätte zeigen könen, daß es zum Scheitern verurteilt ist. In diesem Prozeß hätte das Volk politisch viel stärker einbezogen werden können. Es gibt zum Beispiel keine verfassungsmäßige Garantie für einen gemeinsamen Nord–Ost–Provinzrat, wie von tamilischer Seite gefordert. Jeder zukünftige Präsident Sri Lankas kann das nach Gutdünken entscheiden. Allein mit diesem Punkt hätten wir die Problematik des Abkommens aufzeigen, Indien zum Weiterverhandeln bringen können. Wir glauben allerdings noch immer, daß die LTTE eine Rolle bei jedem zukünftigen Arrangement spielen wird, und EROS wird an keiner Lösung mitarbeiten, die uns von den Indern mit vorgehaltenem Gewehr aufgezwungen wird. Wir fordern einen beiderseitigen Waffenstillstand. Wir sind bereit, zwischen LTTE und den Indern zu vermitteln. Irgendjemand muß mit dem Gespräch beginnen. Ich glaube auch, daß das tamilische Volk bald die Sinnlosigkeit erkennt, so weiterzukämpfen wie bisher und daß dann der Druck auf die LTTE verstärkt wird. Anstelle der Befreiung Eures Volkes, für die Ihr gekämpft habt, habt Ihr jetzt zwei Besatzungsarmeen auf Eurem Territorium. Was für psychische Auswirkungen auf die tamilische Bevölkerung hat das? Die Menschen haben sich von dem Schock noch nicht erholt. Als sie glaubten, das schlimmste sei vorüber und es würden keine Kämpfe mehr stattfinden, kamen die Inder. Eine zunächst willkommen geheißene Armee kämpft jetzt gegen sie, tötet sie, vergewaltigt sie. Das ist ein Trauma für die Bevölkerung, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Ich glaube, sie werden immer weniger bereit sein, direkte militärische Konfrontationen zu unterstützen. Das Volk ist nicht ausreichend politisiert worden, wir haben zuviel Gewicht auf den militärischen Aspekt des Kampfes gelegt.

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