: I N T E R V I E W Bisher ist der Senator alle Antworten schuldig geblieben
■ Der sicherheitspolitische Sprecher der Berliner SPD und Ex–Senator Erich Pätzold zum Verfassungsschutz–Skandal in der Spreestadt
taz: Herr Pätzold, Sie haben durch Hartnäckigkeit nicht unerheblich dazu beigetragen, daß mögliche Mißstände des Berliner Verfassungsschutzes beim Namen genannt werden. Pätzold: Es sind viele Fragen offen. Von der AL wurden mindestens einzelne Mitglieder überwacht, ob es nur einzelne waren, da gibt es Zweifel. Zum Beispiel die AL–Kandidaten vor der 85er Wahl, die nach Hinweisen Frau für Frau, Mann für Mann vorsorglich überprüft worden sein sollen. Angebliche Erkenntnisse zum „Schutze“ der Braven vor den Unbraven blieben im Panzerschrank. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel schließlich. Eigentlich ist es eine Parlamentslüge, wenn ein solcher Einsatz erst bestritten, dann aber eingeräumt wird. Letzte wichtige Frage: Glich der VS einem Bienenschwarm, wurden insbesondere Akten über die Grünen vernichtet? Hat der zuständige Senator Kewenig im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses die neuesten Berichte glaubhaft dementiert? Für mich ist das Wenigste glaubhaft dementiert worden. Ich hätte mir als Senator nie vorhalten lassen, daß kaum eine beantwortungsfähige Frage beantwortet wurde. Nur die Überwachung der AL betreffende Fragen wurden zum Teil beantwortet. Nicht die gesamte AL, sondern einzelne ihrer Mitglieder seien überwacht worden, aber das sind schon sehr viele. Wenn man soviele Mitglieder überwacht, überwacht man dann aber nicht auch die Partei? Nun wurde die Existenz von sieben VS–Berichten über die SPD in Zusammenhang mit Überwachungen der SEW bekannt. Das sieht sehr nach Jahresberichten aus. Vor ein bis zwei Jahren erhielten wir zum ersten Mal Hinweise, daß die Regierenden sich in der Klemme sähen wegen des Antes–Skandals und nun glauben würden, sich offensiv durch das Thema „Verläßlichkeit der SPD“ davon befreien zu können. Dazu sei ein Be richt über Kontakte zwischen SPD und SEW gemacht worden. Der ist mir dann auf Anforderung vorgelegt worden. Daß es nun gleich sieben sein sollen, hat mich sehr verwundert, weil ich seit 1981 die feste Zusage hatte, daß uns alle Berichte in bezug auf die SPD und auch einzelne Erkenntnisse voll zugänglich gemacht werden. Tatsächlich habe ich aber kaum Hinweise erhalten, so daß ich die Berichte nun um so unverständlicher finde. Der Inhalt des einen Berichtes ist nicht so, daß es nach besorgter Abschirmung der SPD gegen SEW–Bemühungen aussieht, sondern eher so, daß man glaubt, der SPD was ans Zeug flicken zu können. Was stand in dem Ihnen vorliegenden Bericht? Beispielsweise, daß der SEW–Kreisvorsitzende im Wedding darüber berichtet habe, wie gut man bei der SPD im Wedding vorangekommen sei. Ich war zu der Zeit dort SPD–Vorsitzender und weiß, daß es vorher und nachher Null war. Die Tendenz der Berichte war so, daß sie die Wahrheit (SEW–Parteiorgan) wie eine glaubhafte Quelle einstuften. Statt zu relativieren, stand drin, das sei wohl nicht vollständig, man müsse schlimmeres befürchten. Warum macht man solche zusammenfassenden Berichte seit 1982 allein über die SPD? Bisher habe ich keine Antwort auf die Frage bekommen, wer der Auftraggeber war, was der Zweck. Wer zweimal die Fragen nicht beantwortet, muß sich allergrößte Skepsis gefallen lassen. Ging es in den Berichten auch um den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel oder nur um Zeitungsartikel? Es ist gesagt worden, daß es eine Zusammenstellung dessen sei, was es an Infiltrationsbemühungen der SEW gegenüber der SPD gegeben habe. In einem Brief teilte der Senator Kewenig mit, es würden nur einzelne Mitglieder der AL überwacht. Ich habe nach wie vor Zweifel an dieser Aussage. Mindestens in Kreuzberg soll der VS direkt mit nachrichtendienstlichen Mitteln beteiligt gewesen sein. Warum nun der Lummer–Bericht über die „Verfassungsfeindlichkeit“ der AL? Lummer hat den Bericht nicht in Auftrag gegeben. Meine Deutung ist anders. Der Verfassungsschutz glaubte, nun habe man endlich einen strammen Innensenator, nun schreibe man dem mal auf, was von der AL zu halten sei... .weil man von ihm Taten erwartete? Ja, egal wie. Ein Verfassungsschutz legt ja nicht eine über viele Monate erarbeitete Expertise vor, um sie anschließend in der Schublade verschwinden zu lassen. Da muß doch irgendjemand sagen, das ist zu heiß oder ihr habt Recht bzw. Unrecht. Wenn die Verfassungsfeindlichkeit der AL gegeben wäre, stünde der VS ja in der Pflicht sie zu überwachen. Wie ernst nimmt es der VS mit seiner selbstdefinierten Pflicht, wenn er die AL doch nicht überwacht? Reicht die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) zur Kontrolle aus? Das wird sich zeigen müssen. Sechs Jahre VS ohne Kontrolle sind gefährlich. Die PKK hat sehr viel weitreichendere Kompentenzen als gleiche Gremien in den Ländern oder beim Bund. Seitdem es sie gibt, bemüht man sich nach meinem Eindruck, im VS die Grenzen der Arbeit wieder schärfer zu ziehe Die AL fordert einen Untersuchungsausschuß. Weil sie mit Mehrheitsentscheidung aus der PKK ausgeschlossen worden ist. Sie muß Fragen hinsichtlich ihrer eigenen Überwachung durch den VS mit klären können. Dazu bedarf es also zunächst des Innenausschusses, der soweit wie möglich öffentlich tagen sollte. Wenn aber eine Fraktion, die sich betroffen fühlt, ausgeschlossen wird, müssen wir wohl versuchen, das durch einen Untersuchungsausschuß zu klären. Alle Jahre wieder kommen die Dienste in die Schlagzeilen. Liegt die Krux nur im Detail oder im Dienst insgesamt? Das will ich noch nicht beurteilen. Ich will wissen, was der Dienst heute tut, früher getan hat, und ohne Rücksicht darauf, welcher Senator ihm vorstand. Aus alten Fehlern würde ich schließen, daß diese noch heute fortexistieren könnten, vielleicht so gar noch vergröbert da sind. Und solche Fehler müßten beseitigt werden. Interview:J.G./bmm
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