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Kohl gibt Chiles Diktator Pinochet Kredit

Bundesrepublik stimmt bei der Weltbank einem Kredit für Chile in Höhe von 250 Millionen Dollar zu / Als milde Gabe an die Kritiker des Geschäfts schrieb Kohl einen lieben Brief an Diktator Pinochet / Kritik von SPD und Grünen / Geißler und Blüm sind abgetaucht  ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Mit der Stimme der Bundesregierung hat die Weltbank am Dienstag abend dem chileni schen Diktator Pinochet einen neuen Kredit von 250 Mio. Dollar bewilligt. Kohl traf die Entscheidung zugunsten Pinochets im Kabinett, obwohl sich sowohl Arbeitsminister Norbert Blüm als auch das Auswärtige Amt für eine Verschiebung des Kredits eingesetzt hatten.

Um den Kritikern in den eigenen CDU-Reihen, zu denen auch Generalsekretär Heiner Geißler gehörte, die Finanzspritze für das Folter-Regime zu versüßen, schrieb Kohl gleichzeitig einen Brief an Pinochet mit dem Hinweis, „daß diese Entscheidung in der Bundesrepublik Deutschland mit großem Ernst diskutiert worden“ sei. Weiter „bittet“ Kohl Pinochet, „den in Gang befindlichen Demokratisierungsprozeß in Chile voranzubringen“.

Nach Informationen der Weltbank wäre der Kredit auch ohne die Zustimmung der BRD zustandegekommen. Bonn hat aufgrund seiner Kapitalbeteiligung 5,55 Prozent der Stimmrechte (die USA 19,63 Prozent). Knapp 60 Prozent der anwesenden Stimmrechte hätten sich für den Kredit ausgesprochen. Italien ist laut dpa dagegen gewesen, die USA, Spanien, Frankreich, die Niederlande und Belgien hätten sich enthalten.

Bei den 250 Millionen handelt es sich um einen „Strukturanpassungskredit“, der nicht für ein bestimmtes Entwicklungsprojekt, sondern im Gegenzug für ein „Sanierungsprogramm“ der Wirtschaft an ein Land vergeben wird. Schon 1985 und 1986 gingen jeweils 250 Millionen Dollar zur Strukturanpassung an Chile, ebenfalls mit Bonns Zustimmung. Der Entscheidung im Kabinett war ein Gezerre hinter den Kulissen vorausgegangen. Norbert Blüm plädierte in Briefen an den CSU-Entwicklungsminister Klein und der mitzuständige Finanzminister Stoltenberg gegen die Kreditvergabe zum jetzigen Zeitpunkt.

Im Streit um die Menschenrechtspolitik der CDU schlägt Kohl sich auf die Seite der CSU

Zeichen setzen wollte Generalsekretär Heiner Geißler, als er vor drei Wochen in seiner Eigenschaft als Vizepräsident der Christdemokratischen Internationale in Santiago weilte. Die CDU, so erzählte er jedem, der es hören wollte, halte die Menschenrechtssituation in Chile für unerträglich. Was sein Parteichef davon hält, hat Kanzler Kohl am Dienstag demonstriert. CSU-Entwicklungshilfeminister Klein erhielt vom Kanzler persönlich grünes Licht für die Bewilligung eines Weltbankkredits an Chile.

CSU-Minister Klein, der dem deutschen Vertreter in der Weltbank die Anweisung über sein Stimmverhalten gab, hatte den Kredit aus angeblich rein wirtschaftlichen Gründen gutgeheißen.

Heiner Geißler wollte den Kredit bis Herbst 1988 vertagen, wäh rend das Auswärtige Amt für eine Verschiebung ohne zeitliches Limit plädierte. Dadurch sollte, so ein Genscher-Sprecher, „die Zeit genutzt werden, um bei den Chilenen auf Fortschritte im demokratischen Prozeß zu drängen“.

Besonders lautstark hat sich das Auswärtige Amt allerdings für seine Linie nicht eingesetzt. Vor einem Jahr, als die Bundesregierung Chile ebenfalls gegen das Votum des Auswärtigen Amts zu einem Kredit in gleicher Höhe verhalf, während sich die USA und andere europäische Länder enthielten, hatte der heutige Staatsminister Schäfer (FDP) noch vollmundig protestiert: Als außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion fand Schäfer es „völlig unverständlich“, daß sich die Bundesregierung beim Chile-Kredit nicht verhalte wie ihre westlichen Bündnispartner.

Er nannte es „dringend notwendig“, den „Abstimmungsprozeß zwischen den einzelnen Ministerien zu verbessern“ und „nicht ständig äußeren Einflüssen nachzugeben“.

Ein Jahr später ist nun alles wieder wie gehabt: Die 250 Millionen Dollar waren der FDP offensichtlich zu wenig, um daran einen offenen Streit in der Koalition zu entfachen. Chile-Kritiker Schäfer war gestern schon mit einem Bein im Urlaub.

Ein Sprecher des Außenamts gab sich moderat: Der Brief des Kanzlers zeige immerhin, daß „unsere Überlegungen in der Bundesregierung gehört worden sind“.

Auf Tauchstation gingen im vorweihnachtlichen Bonn gestern auch die Menschenrechtler Geißler und Blüm. Geißler, der erst vor drei Wochen bei einer Chile-Reise „richtig zornig“ geworden war, zog es vor, der konstituierenden Sitzung der CDU-Kommission „Christliches Menschenbild“ beizuwohnen.

Ein Sprecher im Konrad-Adenauer-Haus wies dezent darauf hin, daß der briefschreibende Kanzler ja auch der CDU-Parteivorsitzende sei. Andere Unionsabgeordnete, von denen im Vorfeld Kritik am Chile-Kredit vernommen worden war, wollten sich gestern ebenfalls nicht äußern. Es blieb der Opposition überlassen, gegen die Pinochet-Hilfe zu protestieren. Der SPD-Abgeordnete Freimut Duwe nannte die Entscheidung der Bundesregierung „eine schwere Niederlage für die Geißler-Linie“. Der Brief des Kanzlers an Pinochet sei „ignorant und makaber“: „Pinochet wird aufgefordert, einen demokratischen Prozeß zu fördern, den er selber mit allen Mitteln verhindert.“

Die Grünen nannten es einen „Skandal“, daß Geißler und Blüm nicht massiv gegen die Bewilligung des Kredits interveniert hätten. Das Argument des CSU-Ministers Klein, die Weltbank solle nicht politisiert werden, entlarve sich daran, daß die Weltbank dem damaligen Präsidenten Allende Kredite aus politischen Gründen verweigerte.

Der Bundestag hat zur Weltbank-Politik nichts mehr zu sagen, seit er von sich aus mit der damaligen SPD-FDP-Mehrheit 1978 alle Zuständigkeiten und Entscheidungsgewalt auf die Bundesregierung übertragen hat.

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