: Die Eiserne Lady schließt das Visier
■ Der Versuch der britischen Regierung, ihren Beamten einen Maulkorb fürs Leben umzubinden, mündet in offene Pressezensur /Redefreudige Ex–Agenten sollen bereits bei der BBC schlangestehen, um über das Innenleben der Geheimdienste zu plaudern /Der“Spycatcher“ ist nur der Anfang
Aus London Rolf Paasch
Der Inhalt eines internationalen Bestsellers, von dem bereits 100.000 Exemplare illegal ins Land geschleust worden sind, darf von den einheimischen Medien nicht wiedergegeben werden, und die Frage nach der Verantwortlichkeit der Geheimdienste in einer demokratischen Gesellschaft ist auch im Radio nicht mehr zu stellen. Dies ist nicht etwa die Beschreibung des Ist–Zustandes in einer Bananen–Republik, sondern politische Realität im Mutterland der westlichen Demokratien: in Großbritannien. Mit der Absetzung eines Radioprogrammes über die Rolle der Geheimdienste in der britischen Gesellschaft hat die Serie der von der Regierung Thatcher gegen Journalisten, Zeitungen und Verlage erwirkten Verfügungen ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Noch Tage, nachdem die dreiteilige Radioserie mit dem Titel „My Country, Right or Wrong“ (Mein Land, im Recht oder Unrecht) vom Programm gestrichen worden war, mutmaßte die politische Redaktion von „Radio IV“ darüber, woran die Regierung denn diesmal Anstoß genommen hatte. Hatte der erste Beitrag nicht anstandslos das sogenannte „D–Komitee“ passiert, jene typisch britische Instanz freiwilliger Vorzensur, in der hohe Ministerialbeamte unter der Leitung eines pensionierten Konteradmirals mit Repräsentanten der Medien informell über die „sicherheitsrelevanten“ Aspekte der Berichterstattung diskutieren? Was also hatte den Zensurapparat der Regierung Thatcher ausgerechnet einen Tag vor der Ausstrahlung des Beitrages am 4. Dezember in Bewegung gesetzt, wo doch Regierung wie Geheimdienste bereits seit sechs Wochen von dem Programm wußten? Nichts anderes, so stellte sich bald heraus, als eine Kurznotiz in der Klatschspalte des rechtsgerichteten Daily Telegraph. Dort stand zu lesen, daß bei der BBC nunmehr Ex–Spione Schlange stünden, um über das Innenleben der Geheimdienste MI5 und MI6 auszupacken. Nichts käme Premierministerin Thatcher zum gegenwärtigen Zeitpunkt ungelegener als weitere Ex–Agenten vom Schlage eines Peter Wright, deren Erinnerungen das unkontrollierte Treiben der Geheimdienste erneut ins Licht der Öffentlichkeit rücken würden. Deswegen forderte der Kronanwalt, Sir Patrick Mayhew, nicht nur das Verbot des Radio–Beitrages, sondern er ließ der BBC auch gleich die Veröffentlichung jeglicher, von Mitgliedern der Geheimdienste erhaltener Informationen untersagen. Die Reaktion der Opposition im Lande war dementsprechend heftig. Ein Sprecher der Labour–Partei, die sich in Fragen der nationalen Sicherheit sonst eher zurückhält, sah bereits den „Polizeistaat“ heraufziehen. Selbst der konservative Abgeordnete Jonathan Aitkin fragte, ob die Regierung denn nicht mehr dazu in der Lage sei, zwischen der notwendigen Vertraulichkeit der Geheimdienste und der in einer Demokratie unerläßlichen Diskussion über deren Rolle zu unterscheiden. Die BBC selbst, sonst nicht gerade für ihren offenen Widerstand gegen staatliche Zensurversuche berühmt, zog gleich vor Gericht, um die „drakonische Maßnahme“, so der Stellvertretende Generaldirektor der Anstalt, John Birt, anzufechten. Das „Spycatcher“–Hearing In der gleichen Woche, in der ein Obergericht nun über den Einspruch der BBC entscheiden wird, geht in London auch das sich über Wochen hinziehende Hearing zum „Spycatcher“–Buch des britischen Ex–Agenten Peter Wright zu Ende. Der nach Australien ausgewanderte Wright hatte in seinen Memoiren beschrieben, wie der MI5 in den siebziger Jahren gezielt an der Destabilisierung der damaligen Wilson–Regierung mitgewirkt hatte. In dem „Spycatcher“–Hearing versuchen die Zeitungen Sunday Times, Observer und Guardian die ebenfalls von der Regierung erwirkte Verfügung gegen eine inhaltliche Wiedergabe der von Wright vorgebrachten Anschuldigungen anzufechten. Dieses Verfahren und die Verfügung gegen die BBC sind dabei auf das engste miteinander verknüpft. Denn Frau Thatcher wird die Aufrechterhaltung des „Spycatcher“–Verbots in Großbritannien nur dann erreichen können, wenn die Richter das von ihr propagierte Prinzip der lebenslangen Schweigepflicht ehemaliger Staatsdiener anerkennen und damit grundsätzlich in das englische Recht aufnehmen. Die Anwälte der zensierten Autoren und Zeitungen verweisen demgegenüber auf die selektive Handhabung der Geheimhaltungsparagraphen durch die Regierung, die in der Vergangenheit dem einen Staatsbeamten erlaubte, was sie dem anderen verbot. Im Interesse der Gleichbehandlung gilt es nun, jede Äußerung eines Geheimdienstmitarbeiters, gleich welcher Natur, zu unterbinden. War es Anfang Dezember noch die Redaktion von „Radio IV“, so ging das nächste Dokument präventiver Zensur am vergangenen Freitag an den Journalisten des New Statesman, Duncan Campbell. Campbell hatte zu Jahresbeginn einen Fernsehbeitrag für die BBC erstellt, der von der Hintergehung des zuständigen Parlamentsausschusses bei der Finanzierung des bis dato geheimen Spionagesatelliten „Zirkon“ handelte. Seit der Beschlagnahmung des Films und der Arbeitsmaterialien des Journalisten im Februar befürchtet man in Regierungs kreisen offensichtlich, Campbell plane neue Enthüllungen. Da das seinerzeit beschlagnahmte Material nicht zu einer kriminalrechtlichen Anklage Campbells ausreichte, griff die Regierung nun auch gegen ihn zum Mittel einer gerichtlichen Verfügung. Das Geheimhaltungsgesetz Dieser juristische Umweg ist nötig geworden, weil die traditionelle Methode, redelustige Staatsbeamte und investigative Reporter zur (Staats–)Räson zu bringen, nicht mehr greift. Großbritannien besitzt mit dem „Official Secrets Act“ das umfassendste Geheimhaltungsgesetz aller westlichen Demokratien. Sein berühmt–berüchtigter Abschnitt2 erklärt grundsätzlich alle Amtsgeschäfte des Staates zum Geheimnis, die nicht ausdrücklich zur Veröffentlichung freigegeben sind. Dieses Gesetzeswerk, 1911 aus Angst vor des Kaisers Spionen im Schnellverfahren durch das Unterhaus gebracht, diente seitdem dazu, das Innere des vom Elitenethos durchdrungenen britischen Regierungs– und Verwaltungsapparates gegen alle Einblicke und Versuche der Demokratisierung abzuschotten. Eine demokratische Kontrolle der Vorgänge in den „Korridoren der Macht“ blieb der Öffentlichkeit so auch unter Labour verwehrt. Erst als im Dezember 1984 eine Jury den der Weitergabe von vertraulichen Papieren angeklagten Ministerialbeamten Clive Ponting trotz gegenteiliger richterlicher Empfehlung freisprach, schien das Ende des anachronistischen „Official Secrets Act“ gekommen. Von nun an mußte die Regierung Thatcher in ihren Zensurbemühungen auf das Zivilrecht ausweichen, was sich jedoch recht bald gar als vorteilhaft erwies. Die Mißachtung der erwirkten Verfügungen wurde allein vom Gericht geahndet, ohne daß hier irgendwelche Geschworenen die Empfehlungen der in Großbritannien durch und durch konservativen Richterschaft verwerfen konnte. Trotz dieses genialen Auswegs will die Regierung nun auch dem dahinsiechenden „Official Secrets Act“ zu neuem Leben verhelfen. Doch schon der zaghafte Reformversuch der privaten Gesetzesvorlage des konservativen Abgeordneten Richard Shepard geht Frau Thatcher dabei zu weit. Shepard wollte ein „ministerielles Zertifikat“ zur Voraussetzung jeder Anklage unter dem „Official Secrets Act“ machen, das der Überprüfung durch ein unabhängiges Richtergremium des Oberhauses standhalten müsse. Nicht zuletzt, um diese Vorlage scheitern zu lassen, läßt die Regierungschefin vom Innenministerium gegenwärtig eine Gegenvorlage der Regierung erarbeiten, welche die britische Besessenheit mit der Geheimhaltung nicht abschwächen, sondern lediglich auf eine praktikable juristische Grundlage stellen soll. Außerdem sitzt die Eiserne Lady persönlich einem Kabinettsausschuß vor, der die Ex–Agenten der Krone durch eine „Nicht–Pensionierbarkeits– Klausel“ in ihren Arbeitsverträgen dazu bringen soll, ihre Geheimnisse schweigend mit ins Grab zu nehmen. Welche Lösung des Konflikts zwischen der Bewahrung von Staatsgeheimnissen und der Sicherung der Pressefreiheit die Gerichte in dieser Woche auch vorschlagen werden, von einem „Freedom of Information Act“ nach amerikanischem Muster (wo der Öffentlichkeit alle Informationen, die nicht ausdrücklich als geheim eingestuft sind, zugänglich sind), müssen Opposition und Medien in Großbritannien wohl noch lange träumen. Eine solche „demokratische Revolution“, so schrieb der vor drei Jahren freigesprochene Clive Ponting unlängst, „müßte dem Establishment, den Politikern und der Bürokratie erst einmal ihre enormen Machtmittel nehmen, um diese anschließend den Bürgern selbst in die Hand zu geben“. Womit dieser Prozeß gerade angesichts des absurden juristischen Zensurtheaters der Regierung jetzt eingeleitet werden müßte, wäre eine öffentliche Diskussion über die Rolle der Geheimdienste und Möglichkeiten ihrer parlamentarischen Kontrolle. Genau dies hatte die Redaktion von „Radio IV“ mit dem Beitrag „My Country, Right or Wrong“ wohl vorgehabt.
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