: Israels besorgte Freunde auf Distanz
Israels Methoden bei der Unterdrückung der palästinensischen Revolte in den besetzten Gebieten haben erneut zu Spannungen mit der Reagan-Administration und mit jüdisch-amerikanischen Organisationen geführt ■ Aus Washington Stefan Schaaf
Beruhigend klangen die Worte des Außenministers: „Die Vereinigten Staaten betrachten ihre Freundschaft und ihre engen Beziehungen zu Israel als unerschütterlich und als Schlüsselfaktor.“ Niemand solle es mißverstehen, wenn die USA gelegentlich gegen Israel votieren, fügte George Shultz am Donnerstag hinzu. Vielmehr mache es gerade die Stärke einer Freundschaft aus, wenn man bisweilen verschiedener Ansicht sein könne.
Shultz versuchte mit diesen Worten, den im Dezember aufgeflammten Streit um Israels Maßnahmen gegen die revoltierenden Palästinenser in den besetzten Gebieten beizulegen. Insbesondere bemühte er sich, den Organisationen amerikanischer Juden entgegenzukommen, die wiederholt im State Department ihr Befremden über die harten Worte aus Washington ausgedrückt hatten. So hatten sie am Heiligabend bei Shultz vorgesprochen, nachdem das Weiße Haus zwei Tage zuvor beide Seiten für die eskalierende Gewalt verantwortlich gemacht hatte.
Eine Woche darauf hatte die Reagan-Administration die geplanten Deportationen von neun Palästinensern kritisiert und dies auch mit ihrer Zustimmung zu einer entsprechenden Resolution im UN-Sicherheitsrat unterstrichen. Ob für Washington die Angelegenheit nunmehr erledigt ist, wird sich nicht zuletzt in den besetzten arabischen Gebieten entscheiden. Die spontane Revolte, die dort Anfang Dezember unter den palästinensischen Jugendlichen ausgebrochen war, hatte die in Washington gehegten Illusionen zer stört, daß es im Nahen Osten gegenwärtig so etwas wie einen „Friedensprozeß“ gebe.
Die Reagan-Administration hatte in den letzten Monaten eine bequeme Abwartehaltung im Nahost-Konflikt eingenommen und darauf gehofft, daß der Dialog zwischen Israel und Jordanien irgendwann Resultate zeitigen werde, die in eine internationale Nahost-Konferenz münden würden.
Die Bilder, die amerikanische Fernsehteams von dem ungleichen Kräftemessen zwischen steinewerfenden Jugendlichen und scharf bewaffneten israelischen Soldaten in die Wohnstuben der USA übermittelten, trafen so einen wunden Nerv. Unter den Knüppelschlägen der Soldaten zerbrach die Illusion, den Konflikt zwischen Israel und Palästinensern aussitzen zu können. Wenn die frühzeitigen diplomatischen Proteste der Reagan-Administration nicht geholfen hätten, jüdische Organisationen in den USA hinter Israel zu vereinigen, wäre wohl noch deutlicher geworden, daß die Zweifel an der Politik des jüdischen Staates sich auch durch die Reihen der amerikanischen Juden ziehen.
Bei aller moralischen und finanziellen Unterstützung, die die jüdische Gemeinschaft dem israelischen Staat gewährt, haben Maßnahmen wie administrative Inhaftierung oder Ausweisung von Palästinensern immer an de ren demokratischem Gemeinsinn gekratzt. Liberale Juden in den USA fürchten, daß die Okkupation, wenn sie noch lange fortdauert, die demokratischen Werte und Institutionen dieses Landes zerrütten werde.
Rabbi Alexander Schindler, Präsident der „Union of American Hebrew Congregations“, warnte Israel, daß die angespannte politische Lage nicht unbegrenzt andauern könne. „Israel kann nicht in den besetzten Gebieten sitzen und darauf warten, daß Friede einkehrt. Der Status quo birgt endlosen Konflikt in sich, er ist eine Zeitbombe in Israels Innerstem.“
Deutlich wurde der schwelende Unmut bereits beim letzten Jahreskongreß des Jüdischen Weltkongresses, der Anfang Dezember in Jerusalem stattfand und auf dem jüdische Organisationen aus den USA ihren Kandidaten für die Präsidentschaft gegen zwei israelische Konkurrenten durchdrückten und eine Resolution verabschiedeten, die das orthodoxe religiöse Establishment in Israel wegen der Nichtanerkenung des konservativen und des Reformjudentums kritisierte.
Noch sichtbarer waren die unterschiedliche Bewertungen bei israelischen und amerikanischen Juden im vergangenen Jahr während der Affaire um Jonathan Pollard geworden. Pollard, ein jüdischer US-Bürger, hatte über Jahre insgeheim vier Kubikmeter Geheimdokumente der US-Marine an Israel weitergegeben und war dafür in den Vereinigten Staaten zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden.
Während jüdisch-amerikanische Organisationen über den Verrat Pollards schockiert waren und Israels Regierung wegen des Vorfalls kritisierten, sammelten israelische Bürger mehrere zehntausend Dollar für die Anwalts- und Prozeßkosten des Spions. Die Pollard-Affaire stellte die Beziehungen amerikanischer Juden zum Staat Israel auf ihre bisher schwerste Probe.
Im Kongreß in Washington kann Israel freilich auf solide Unterstützung und noch einiges mehr rechnen. Mit festem Blick auf jüdische Stimmen im Wahljahr 88 verabschiedete der Kongreß kurz vor Weihnachten im Rahmen des 600-Milliarden-Dollar-Haushaltsgesetzes eine Bestimmung, die Israel bis zu zwei Milliarden Dollar bei der Rückzahlung US- amerikanischer Hilfsgelder sparen könnte und warf als Zugabe noch 180 Millionen Dollar für ein Raketenabwehrsystem hinterher. Monate zuvor hatte sich in beiden Häusern des Kongresses eine solide Mehrheit für die äußerst fragwürdige Forderung nach Schließung der PLO-Büros in Washington und New York abgezeichnet. Selbst das State Department fand eine solche Maßnahme unklug, ließ am Ende aber das Washingtoner Büro zumachen und riskiert nun deswegen eine gerichtliche Niederlage.
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