: Bretonen sauer über Ölpest–Urteil
■ Standart Oil of Indiana zu 85,2 Millionen Dollar verurteilt / Größter Öl–Unfall der Geschichte nach zehn Jahren Prozeßdauer „gesühnt“ / Ökologische Schäden durch die „Amoco–Cadiz“ blieben weitgehend unberücksichtigt / Kläger und Beklagte kündigen Berufung an
Chicago/Brest (afp) - Nach einem zehnjährigem Prozeß um den Schiffbruch des Supertankers „Amoco–Cadiz“ vor der bretonischen Küste hat der amerikanische Bundesrichter Frank McGarr in Chicago am Montag den Schiffseigner, den amerikanischen Ölkonzern Amoco Corp., zur Zahlung von 85,2 Millionen Dollar Schadensersatz an die Opfer der verheerenden Ölpest verurteilt. Obgleich es sich um die bisher härteste Verurteilung handelt, wollen die bretonischen Kläger in die Berufung gehen, um höhere Entschädigungen durchzusetzen. Die vor kurzem in „Standard Oil of Indiana“ umgetaufte multinationale Holding will ebenfalls in Berufung gehen. Sie stellt sich auf den Standpunkt, daß die spanische Schiffswerft „Astilleros Espanoles“ und die amerikanische Schiffahrtsbehörde, die die „Amoco– Cadiz“ inspiziert hatte, die Schuld an der Schiffskatastrophe tragen, durch die im Frühjahr 1978 in der Bretagne 360 Kilometer Küste verschmutzt und Fauna und Flora zerstört wurden. In seinem 450–Seiten–Urteil sprach der amerikanische Bundesrichter dem französischen Staat eine Schadensersatzsumme von umgerechnet 375 Millionen Franc zu. Den betroffenen bretonischen Gemeinden billigte er lediglich 93 Millionen Franc zu. Demgegenüber betrugen die französischen Forderungen insgesamt 1,13 Milliarde Franc. Richter McGarr hielt diese Forderungen für „sehr übertrieben“. Das Programm zur Wiederherstellung der Meeresfauna, das die bretonischen Gemeinden auf 160 Millionen Franc beziffern, ließ der amerikanische Richter völlig unberücksichtigt. Er meinte, die Natur habe „von selbst wieder Oberhand gewonnen“. Den Begriff der „moralischen Entschädigung“, wie ihn die französische Rechtsprechung kennt, wandte der Bundesrichter von Chicago nicht an. Die bretonischen Gemeinden hatten ihn angeführt, da die Ölpest dem Image der Badeorte geschadet und Urlauber abgehalten habe. Die Vertreter der Gemeinden zeigten sich darüber enttäuscht, daß auch kein Ausgleich für ihre ökologischen Beeinträchtigungen anerkannt wurde. Die Anwälte der bretonischen Gemeinden stuften das Urteil als „Rechtsverweigerung“ ein. Der Richter habe Summen „vergessen“, die die Höhe der Entschädigung verdoppelt hätten. Anwalt Christian Huglo sprach von einer „großen Ungerechtigkeit, die dem französischen Recht total zuwiderläuft“ und zu der Quintessenz führe: „Je mehr man die Umwelt verschmutzt, desto weniger zahlt man.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen