: „Ich bin Taiwanese“
■ Lange vor seinem Tod bereitete Präsident Chiang Ching–Kuo eine Demokratisierung in Taiwan vor
Von Jürgen Kremb
Berlin (taz) - Eigentlich war die Bevölkerung Taiwans schon lange auf den Tod ihres 77jährigen Präsidenten vorbereitet worden. Bereits zum Nationalfeiertag der 20–Millionen–Einwohner–Insel, am 10. Oktober, war der schwer zuckerkranke Sohn von Chiang Kai–Shek nur noch im Rollstuhl in der Öffentlichkeit erschienen. Ein klares Indiz dafür, daß seine Nachfolger psychologisch schon die Ära nach Chiang eingeleitet hatten. Dennoch trifft der plötzliche Tod des leutseligen Politikers vor allem die liberalen Kräfte des Landes wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Denn der Namen Chiang Ching–Kuo stand gerade in den letzten beiden Jahren auf Taiwan immer wieder für eine weitgehende Demokratisierung des aufstrebenden Schwellenlandes. Ende 1985 hatte er in einer programmatischen Rede dieses Tauwetter selbst eingeleitet - oft gegen den Widerstand der konserva tiven Militärs in der eigenen Partei. Vor dem Parlament der kleinen Insel, die sich Republik China nennt und noch immer den Alleinvertretungsanspruch für ganz China aufrecht erhält, hatte er eine Fortsetzung der Chiang–Familien–Dynastie ausgeschlossen und ausdrücklich erklärt, daß auch kein Militär seine Nachfolge übernehmen werde. Seitdem drängte der Präsident moderat, aber bestimmt, immer wieder zum Ausgleich zwischen seiner allein–regierenden nationalen Volkspartei (KMT) und der politischen Opposition. Das war nicht immer einfach, denn die Mehrheit der KMT–Vertreter sind Mitglieder der Regierung und Armee seines Vaters, der mit zwei Millionen Anhängern 1949 vor der Roten Armee nach Taiwan geflüchtet war. Sie brachten ihren gesamten Regierungsapparat und das Kriegsrecht mit nach Taiwan. Demnach durften auf der Insel für die „vorübergehende Dauer des kommunistischen Aufstandes“, so die KMT–Umschreibung, keine Parlamentswahlen mehr ausgerufen werden, Partei–Neugründungen waren verboten und ein Kontakt zum kommunistischen Festland stand unter Strafe. Die heute 18 Millionen Taiwanesen durften nur ihre Abgeordneten zum taiwanesischen Lokal–Parlament bestimmen. Waren es nur die Ereignisse bei Taiwans Nachbarn, den Philippinen und in Südkorea, oder der stete Druck einer wohlhabenden Mittelschicht, jedenfalls schien dieser Anachronismus der Geschichte Chiang kurz vor seinem Tode zum schnellen Handeln bewogen zu haben. Nachweislich auf Anordnung des Präsidenten saßen sich dann im Frühjahr und Sommer 1986 lokale „Dangwai“ - (außerhalb der Partei) Opposition und KMT gegenüber, um innenpolitischen Frieden zu schließen. Als direktes Ergebnis konnte sich wenige Monate später die „demokratische Fortschrittspartei“ (DFP) etablieren und in darauffolgenden Wahlen fast 30 Prozent der Stimmen erringen. Wenn auch eine juristisch einwandfreie Gründung von Oppositionsparteien noch an Verfahrensfragen krankt, so vereinbarten die politischen Kontrahenten doch im Sommer des letzten Jahres nach 37 Jahren die Abschaffung des Kriegsrechts auf Taiwan. Seit November sind gar Familienbesuche im Land des Erzfeindes in China erlaubt, und auch der indirekte Handel zwischen den feindlichen Brüdern nahm 1987 mit einem Gesamtumfang von 540 Millionen US–Dollar staatlichen den Umfang an. Im Januar 1987 war gar die Pressezensur abgeschafft worden und zahlreiche oppositionelle Zeitungsgründungen stehen an. Darüberhinaus stand Chiangs Name aber immer als Garant für Taiwans Aufstieg zur asiatischen Wirtschaftsmacht, die Südkorea schon lang in den Schatten gestellt hat. Lediglich die strikte anti– kommunistische Politik versagte dem Land die internationale Anerkennung und trieb Taiwan in die außenpolitische Isolation. Eines seiner größten Lebensziele konnte sich Chiang freilich nicht mehr erfüllen: die vollständige Wahl aller Abgeordneten in den Parlamenten Taiwans durch die lokale Bevölkerung. Mit der Tatsache, daß die Parlamentarier, die schon in China gewählt worden waren, nämlich in Taiwan ihre Sitze auf Lebenszeit behielten, rechtfertigte die KMT stets ihren Anspruch auf ganz China. In seinem politischen Testament, das am 5. Januar verfaßt wurde, drängte Chiang darauf, daß die Demokratisierung weitergehen müsse, bis Neuwahlen aller Parlamente durch die lokale Bevölkerung möglich seien. Chiang, der sowohl im Umgang mit Bauern auf dem Lande, aber auch schon mal bei offiziellen Anlässen salopp im Trainingsanzug aufkreuzte, hatte das erst vor wenigen Tagen in seiner ureigenen Art ausgedrückt: „ Ich habe 40 Jahre in Taiwan gelebt, ich bin Taiwanese.“ Wenn sich auch die konservativen Kreise in der KMT, die nicht immer von Chiangs demokratischer Umwälzung begeistert waren, mit der Opposition und den Liberalen der eigenen Partei auf diese These einigen können, würde das Taiwan sicher koreanische Verhältnisse ersparen. Da mit Vizepräsident Li Denghui erstmal ein gebürtiger Taiwanese als Nachfolger im Amt bis 1990 bleiben wird, sind sicher die Voraussetzungen dafür recht günstig.
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