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Hände weg von Späths Baden-Württemberg!

CDU will immer noch absolute Mehrheit / Wahlparteitag der baden-württembergischen CDU: 500 Delegierte, ein Antrag, diskutiert wird nicht / Auch Kohl stimmt ein: „Baden-Württemberg ist ein Glanzstück im Reigen der Bundesländer“  ■ Aus Freiburg Dietrich Willier

Die Äpfel werden billiger, die Mädchen werden williger, es riecht aus den Aborten, Frühling allerorten zu früh? Nein! Es ist lau, und mit dem Wahlparteitag der baden-württembergischen CDU am Samstag in der Freiburger Stadthalle schien gar der berühmte südbadische Lenz auszuschlagen. Eintopf mit Kohl gibt es nicht nur zur Mittagszeit. So wenig Stilblüten in einer Stunde, meint ein CDU-Funktionär, habe sein Kanzler schon lange nicht mehr geschafft. Und wo sich der Bundeskanzler nicht mehr mit Argumenten gegen die fröhlich trillernde und skandierende Freiburger Jugend durchzusetzen vermag, brüllen die Lautsprecher. Es ist eine Lust, die Geschlossenheit dieser christdemokratischen Einheitspartei zu erleben. 500 Delegierte waren angereist, ein Antrag wurde gestellt, nach zwei Wortbeiträgen und zehn Minuten war die Wahlplattform der baden-württembergischen CDU beschlossene Sache. Die Macht im Lande zwischen Reben und Raketen soll erhalten bleiben, und zwar absolut.

Kurzfristig scheint auch die Eintracht zwischen Stuttgart und Bonn und über die Generationen hinweg wiederhergestellt – zufrieden lächelt der schreckliche Richter Hans Filbinger neben Kohl und Späth auf dem Podium. Nix da Differenzen um Steuerreform und Neuverschuldung, um die Besteuerung von Jahreswagen oder eine Verbrauchssteuererhöhung. Daß Baden-Württemberg von Stuttgart und die Republik von Bonn aus regiert würden, meint Späth, sei doch kein Widerspruch.

Lothar Späth, der clevere Populist, ist denn auch der Star des Tages. Seine Forderung nach einer großen Koalition zwischen baden-württembergischen Bürgern und CDU erntet stehende Ovationen. Man müsse sich wehren, meint Späth, um nicht zur Melkkuh der Nation zu werden „Die anderen sollen doch erst ihren Stall ausmisten bevor sie aussagen, wie Politik gemacht wird“. Schließlich zahle man genug in den Länderausgleich und die Kassen der Arbeitslosen. Radikaler Strukturwandel und technologische Kreativität, so Späth, seien angesagt, sonst hieße es runter mit den Ansprüchen.

Baden-Württemberg, das Musterländle, als Vorbild gegen den Rest der Welt? Späths Überheblichkeit ist grenzenlos und hat doch so viel Schwäbisches, daß sie ankommt. Hier habe man in den fetten Jahren gespart, als die anderen Schulden machten. Jetzt könne diese Kampfreserve investiert werden. Einen Millionen- Supercomputer habe man – pfiffig – beim Dollarkurs von 2,40 DM gekauft, aber nach dem Kursverfall erst bezahlt. Zwar sterben baden-württembergische Wälder noch immer schneller als anderswo, doch hält das die CDU nicht ab, sich auch in der Luft-, Bo den- und Wasserreinhaltung für Spitze zu halten. Nicht einmal ein neues AKW wolle man bis zur Jahrtausendwende bauen. Und last not least gebe es neben der niedrigsten Arbeitslosigkeit, dem höchsten Pro-Kopf-Steueraufkommen, den höchsten Exportüberschüssen auch noch Geburtenüberschüsse – einzig in der Republik, dank baden-württembergischer Familienpolitik und Landeserziehungsgeld.

Deshalb, so Späth, habe man hier auch ein Recht, über den Abtreibungsparagraphen zu reden; mit denselben Mitteln, die heute für AIDS-Aufklärung ausgegeben würden, solle das Fernsehen zeigen, wie es im Bauch einer werdenden Mutter aussieht.

Was Wunder, wenn da bei „Lothar dem Erstbesten“ ein badischer Dichter über den Ministerpräsidenten nur Hohn und Spott für den Rest der parlamentarischen Repräsentanten bleibt. Die Sozialdemokraten müßten tun, was sie nicht wollten, erst bei einem Bruch der absoluten Mehrheit gebe es Chancen für die FDP.

Es ertönt Marschmusik, auf tritt der Generalist aus Bonn. „Baden-Württemberg ist ein Glanzstück im Reigen der Bundesländer“. „Politik führt zur Staatskunst, wenn man zukünftige Generationen im Blick hat“. „Ohne uns wäre die Politik des Lebens nicht möglich gewesen“. „Keine Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft“. „Aufwärtsentwicklung setzt sich fort“. Halt, da steht er im Widerspruch zu Lothar Späth. Doch weiter gehts, eine Stunde lang, mit High Tech gegen Pfiffe und Buhrufe.

NUKEM, Transnuklear? Kohl: Unerträglich, billiges parteipolitisches Kapital, schließlich habe zu der Zeit nicht Walter Wallmann regiert. Rechtsstaat, keine Vorverurteilungen, neues System der Kontrolle. „Aufhören mit Krisengerede“. „Straßen nicht mehr den Gegnern, sondern den Freunden der Demokratie überlassen“.

Nationalhymne – Schluß. Die Stadthalle ist mit Müll übersät. Draußen diskutieren noch schwarzgekleidete junge Leute mit bunten Haaren und Aufklebern: „I love Lothar“.

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