Wahl in Haiti – die Stunde der Komödianten

Der Wahlbetrug als hohe Kunst von Improvisation und Organisation: Rote Daumen werden wieder farblos / Rundtrip von Wahllokal zu Wahllokal / Wahlzettel werden wahllos ausgegeben/ In Wirklichkeit wählte kaum jemand  ■ Von Rita Neubauer

Port-au-Prince (taz) – Im vergangenen Jahr wurde das haitianische Volk mit Gewehrsalven und Macheten um freie und unabhängige Wahlen gebracht. Vergangenen Sonntag war es offener Wahlbetrug.

Bei den Präsidentschaftswahlen spielte sich in den Wahllokalen Ungeheuerliches ab. So wurden sogenannte Wähler in Trupps von Wahllokal zu Wahllokal geschleppt, wobei die rote Farbe am Wahlfinger vorher immer wieder entfernt wurde. Ebenso wanderten kleine Geldbeträge über die Tische. Vor dem Bürgermeisteramt der Hauptstadt Port-au-Prince karrten Kleinbusse und Lastwagen Wahlwillige vor die Urnen. Ein paar Jugendliche drückten ihnen wahllos Wahlzettel in die Hände. Wenn sie zurückkamen, stand Terpentin bereit, um die rote Farbe am Wahlfinger abzuwischen. Die Wähler mußten sich in den meisten Lokalen nicht ausweisen, viele hatten offensichtlich das Wahlalter von 18 Jahren noch nicht erreicht.

Äußerst effektiv arbeiteten die Helfer in Leogane. Bevor der Wahlschein in der Urne verschwand, las der Beamte laut den Namen des Gewählten vor. Ein anderer machte das Kreuzchen auf dem Ausfüllbogen. Wer wie Leslie Manigat von der Progressiv Demokratischen Partei eifrig Wahlzettel gedruckt hatte, fand seinen Namen auch häufig in der Urne wieder. Oder im Rinnstein, wo am Nachmittag die Wahlscheine wie Flugblätter schwammen. Die Stimmzettel wurden von Anhängern der Kandidaten vor den Wahlkokalen verteilt. Diese im neuen Wahlgesetz vorgesehene Maßnahme räumt dem materiell stärksten Politiker große Vorteile ein. Haitis groteskes Wahlspektakel wurde noch durch die menschenleere Hauptstadt vervollständigt. Zwei Panzerspähwagen kurvten durch die öden Straßenzüge, vorbei an postierten Polizisten und Straßensperren, die die Innenstadt von Port-au-Prince in einen Hindernisparcour verwandelt hatten.

Die meisten Bewohner trauten sich allerdings den ganzen Tag nicht auf die Straße. Vielen standen noch frisch die dramatischen Erlebnisse vom blutigen Wahlsonntag im November vor Augen. Die Mehrheit aber folgte dem Wahlboykott der Opposition. Der Oppositionspolitiker Serge Gilles: „Wir sind zufrieden. Die haitianische Bevölkerung hat sich unserem Aufruf angeschlossen. Ich fürchte, daß nur zwei Prozent gewählt haben.“ Auch die Kirche hatte den Warnstreik indirekt unterstützt. Sie riet ihren Gläubigen, nicht zum Gottesdienst zu kommen, damit sie nicht in die Fänge der Militärs geraten und zur Wahl gezwungen werden konnten. Leslie Manigat, der Wunschkandidat der Militärs, der auch von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird, versicherte vor seiner Stimmabgabe, daß die Wahlen ohne Betrug und in Freiheit abgehalten würden. „Kleine Unregelmäßigkeiten“ hätten keine Auswirkungen auf die „Aufrichtigkeit der Wahlen“.

Selbst in den Reihen der Kandidaten kamen Zweifel auf. Zwei führende Bewerber beklagten sich über Unregelmäßigkeiten. Erstaunen erzeugte auch die Behandlung ehemaliger Anhänger des 1986 gestürzten Diktators Jean Claude Duvalier. Während die Präsidentschaftskandidaten noch kurz zuvor von der Kandidatur gerichtlich ausgeschlossen worden waren, konnten die Bewerber für den Senat und das Abgeordnetenhaus antreten. Franck Ronain, bekannt für öffentliche Exekutionen als Polizeichef und Bürgermeister unter der Duvalier-Diktatur, hat gute Chancen, erneut als Bürgermeister von Port-au-Prince gewählt zu werden.

Die Regierung General Namphys will Kritik an den Wahlen nicht anfechten. Sie wird in den nächsten Tagen den neuen Präsidenten der Karibikrepublik bekanntgeben: einen Mann ihrer Wahl. Sie hält damit den Zeitplan der Verfassung ein und erfüllt damit vor allem die Forderung der Geldgeber, wie den USA. Ein westlicher Diplomat: „Welche Alternative gibt es denn, außer diesen Präsidenten zu akzeptieren, wenn es nicht erneut zu Blutvergießen kommen soll?“

Mit einem schwachen Präsidenten an der Spitze Haitis hätte auch das Militär seine Vormachtstellung zementiert, die es vor 30 Jahren mit dem Aufbau der paramilitärischen Truppen, der Tonton Macoutes, verloren hatte. Es wird alles daran setzen, daß dies nicht so schnell wieder passiert. Verlierer der Wahl ist erneut die Bevölkerung, die nur als Statist in dem Machterhaltungsstück der Militärs eine Rolle spielte.