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Atomskandal: Hessens SPD mauert

Hessische Sozialdemokaten verhindern den von den Grünen geforderten Landes-Untersuchungsausschuß zum Hanauer Atomsumpf / Weimar-Ministerium war seit Dezember über Manipulationen im Bilde  ■ Aus Frankfurt Reinhard Mohr

Die SPD, in Bonn an die vorderste Front der Atomskandal-Aufklärer geprescht, mauert in Wiesbaden. Nach der gestrigen Sitzung des Vorstands der SPD-Landtagsfraktion in Wiesbaden sagte SPD- Sprecher Zinnkann gegenüber der taz, an der Haltung zur Grünen- Forderung nach einem hessischen Untersuchungsausschuß habe sich nichts geändert. Man halte ihn angesichts des Bonner Untersuchungsausschusses, der „auch im internationalen Rahmen ermitteln kann und weitergehende Kompetenzen hat“, für überflüssig.Auf die Frage nach etwaigen Befürchtungen ehemaliger SPD-Minister, sie könnten im Laufe der Ermittlungen eines Landtagsausschusses zur Hanau-Connection auf der Anklagebank landen, sagte Zinnkann: „Die können auch vor den Bonner Ausschuß geladen werden.“ Ohne Zustimmung der SPD wird es keinen Untersuchungsausschuß geben. Die Grünen fordern in ihrem fünfseitigen Antrag zum Untersuchungsausschuß die lückenlose Aufklärung der Atommüll-Manipulationen inklusive aller politischen Verantwortlichkeiten.

Unterdessen verdichteten sich gestern die Informationen, daß der hessische Umweltminister Weimar (CDU) Bundesumweltminister Töpfer (CDU) vor dessen Bundestagsrede über den Atommüllskandal jene brisanten Erkenntnisse vorenthalten hat, die erst am Tag darauf veröffentlicht wurden und zur sofortigen Stillegung der Firma NUKEM geführt haben.

Um seinen Staatssekretär Popp nicht zu desavouieren, der schon am 23.Dezember 1987 über sämtliche Manipulationen bei NUKEM im Bilde war, die Töpfer am 14.Januar 1988 zur Schließungsverfügung veranlaßten, behauptet Weimar weiterhin, erst am Mittag des 13.Januar, also genau zwei Stunden nach Töpfers „Entsorgungs“-Rede im Bundestag von den skandalösen Vorgängen in Hanau erfahren zu haben. So stattete der höchste Repräsentant der bundesdeutschen Atomaufsicht, Umweltminister Töpfer, einen offiziellen Bericht ab, der einen Informationsrückstand gegenüber den nachgeordneten hessischen Behörden von mehr als drei Wochen aufwies.

In der Pressemitteilung des hessischen Umweltministeriums vom 14.Januar findet sich die Bestätigung: „Hingegen wurde am 23.12.1987 anläßlich einer Überprüfung bei der Firma NUKEM auf die Analysen aus dem Jahr 1985 hingewiesen. Auf entsprechende Vorhaltungen der Mitarbeiter des Ministeriums wurde sodann eingeräumt, daß in den Fässern möglicherweise Plutonium sein könnte.“ Dies und die Verseuchung jener 5o Fässer aus Mol mit Kobalt, Cäsium und hochangereichertem Uran 235 hat NUKEM der Atomaufsicht ebenso verschwiegen wie das Verschwinden zweier Fässer auf dem Weg zwischen Mol und Hanau.

All das war Gegenstand einer „M-Besprechung“ der Fachbehörde mit Staatssekretär Popp am 23.12.1987, also am selben Tag in Wiesbaden. Ein Bericht darüber wurde am 8.Januar fertiggestellt und dann noch einmal vier Tage später, am 12.Januar, dem Minister zur Kenntnis vorgelegt, der wiederum erst einen Tag später, nach Töpfers Bundestagsrede, daraus „gesicherte Erkenntnisse“ schöpfte. Wie Joschka Fischer, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Wiesbaden, gestern der taz ankündigte, werde er auf der Sondersitzung des hessischen Landtags in dieser Angelegenheit „bohrende Fragen“ stellen. Entweder habe Umweltminister Weimar selbst seit Wochen über den NUKEM-Skandal Bescheid gewußt – und geschwiegen – oder er sei von seinem Staatssekretär Popp im Dunkeln gelassen worden und habe dies vertuscht, sagte Fischer. In beiden Fällen hätte er seine Amtspflichten grob verletzt.

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