: Mit Fleiß, Geschick und Skrupellosigkeit
Ihr 125jähriges Bestehen feiern die Farbwerke Hoechst unter Beteiligung von Kohl und Wallmann / Jubiläumsstimmung wird in der Jahrhunderthalle nur aufkommen können, wenn das historische Gedächtnis an der Garderobe abgegeben wird ■ Von Georgia Tornow
Aus dem Schlagschatten des Nationalsozialismus kommen sie nicht raus. Auf den 30. Januar haben die Farbwerke Hoechst AG, die Nummer Vier auf der Weltrangliste der Chemie-Multis, die Großfeier ihres 125jährigen Bestehens in der Hoechster Jahrhunderthalle gelegt. Egal, wer für die Wahl des Datums verantwortlich ist – wieder nur das Kurzzeitgedächtnis der Spätgeborenen oder der PR-Trick, offensiv die Bewältigung der eigenen Vergangenheit zu demonstrieren: die Feier am Jahrestag von Hitlers Machtergreifung wirft ein Schlaglicht auf die Geschichte.
1925 schlossen sich die Farbwerke Hoechst zusammen mit Bayer, BASF und einigen weiteren kleineren Chemiefirmen zur „Interessengemeinschaft Farben“ zusammen. Das Kartell zur Verbesserung der wirtschaftlichen Position der deutschen Chemieindustrie gegen ausländische Konkurrenten griff dann aber auch massiv in die innenpolitischen Verhältnisse ein. Die I.G. Farben gehörten zu den finanzstarken Unterstützern Hitlers, am Anfang bei seiner Reichskanzlerkandidatur, später bei der Aufrü stungspolitik und schließlich bei der Ausbeutung der okkupierten Länder und Gebiete. Ungeheuerlich ist ihr Anteil an der Massenvernichtung von Juden und KZ- Häftlingen. Die I.G. Farben hielt ebenso wie die Frankfurter Degussa 42,5 Prozent der Anteile an der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (DEGESCH), die die Herstellung und den Vertrieb des Giftgases Zyklon B organisierte, mit dem in den Vernichtungslagern Millionen Menschen ermordet wurden. Von dem Anklagepunkt, hieran beteiligt gewesen zu sein, wurden 24 führende I.G.Farben-Manager bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen freigesprochen. Sie hätten von der Verwendung des Giftgases nichts gewußt, lautete die Urteilsbegründung; gleichzeitig wurden einige von ihnen wegen der Plünderung ausländischer Betriebe und der Mißhandlung ausländischer Zwangsarbeiter zu Gefängnisstrafen verurteilt. Bis heute besteht eine Abwicklungsgesellschaft als Nachfolgeeinrichtung der I.G.Farben, die sich neben der Verwaltung eines Restvermögens vor allem mit Zahlung von Pensionen und der Abwicklung von Prozessen zur Wiedergutmachung befaßt.
Den Beginn der Hoechster Chemie-Produktion markiert der Vertrag zwischen einem Chemiker und zwei Kaufleuten, die am 30. Januar 1863 den Gründungsvertrag für ein „Etablissement zur Herstellung von Anilinfarben“ am Mainufer in Hoechst unterzeichneten. Fünf Arbeiter stellten in der Klitsche den Farbstoff „Fuchsin“ her, nach dem die Hoechster Chemie-Arbeiter bis heute ohne politischen Hintergrund die „Rotfabriker“ genannt werden. Neben den Teerfarben verhalf vor allem die Entwicklung der Düngemittelchemie im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft und die Entwicklung der Arzneimittelforschung der Chemie zum Rang eines bestimmenden Wirtschaftszweigs vor dem 1. Weltkrieg. Die seit 1880 bestehende Aktiengesellschaft Farbwerke Hoechst nahm schwunghaft daran teil, an die zehntausend Beschäftigte fertigten über 11.000 Produkte – schon damals gehörte auch Giftgas dazu.
Erst 1953 war der Entflechtungsprozess der I.G. Farben soweit, daß neben der BASF, Bayer und Cassella auch die Hoechst AG wieder 28.400 Beschäftigte und einen Umsatz von 962 Mio. D- Mark vorzeigen konnte. Heute hat der Weltkonzern Produktionsstätten in 120 Ländern und einen Jahresumsatz von etwa 40 Mrd. Mark. Verdient wurde dieses Geld vor allem in den Bereichen der Agro-Chemie, in der Pharmaindustrie und bei der Kunststoffherstellung. Mit dem Angebot von Belegschaftsaktien und Prämien soll die Belegschaft einen Jubiläumsbonus erhalten. In entsprechend anderen Größenordnungen werden auch die Aktionäre am Geburtstagskuchen beteiligt.
Die moderne Chemie-Industrie hat in der Tat das Alltagsleben im zwanzigsten Jahhundert geprägt, und das nicht nur über ihre Produkte. Umweltbelastungen und Störfälle sind auch bei der Hoechst AG keine Seltenheit. Der Main hinter dem Werk in Frankfurt Hoechst ist biologisch tot. Am 20. Januar 1986 hatte der ganze Stadtteil etwas vom dominanten Arbeitgeber der Gemeinde: es fiel gelber, ätzender Regen, der sich bei nassem Wetter durch die Explosion eines Chlornitrobenzol-Behälters gebildet hatte. Die Neigung, Störfälle zu vertuschen, führte zu direkten Entschädigungsangeboten an Anwohner, denen der Autolack verätzt war. Der Schaden für Personen, der durch zu langes Hinauszögern von Warnungen entstehen könnte, war da zweitrangig. Auch wenn als Wachstumsbereich der Zukunft Umweltschutz und Gentechnologie anvisiert werden- der Mernsch steht dabeifür Hoechst nicht im Mittelpunkt.
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