: Waldheim-Belastungsdokument verschwunden
Waldheim-Kommission auf der schwierigen Suche nach dem Spiegel-Dokument, das den Ex-Leutnant als Verantwortlichen für Deportationen schwer belastet / Chaos total in Wien und Zagreb / Zagreber Archiv ohne Archivschlüssel / Österreicher bleiben ungerührt ■ Von G.Regenermel/M.Schmid
„Eine glatte Fälschung“, hieß es in der Präsidentschaftskanzlei zu dem von dem jugoslawischen Historiker Plenca entdeckten und vom Spiegel veröffentlichten Dokument, das Kurt Waldheim nach Meinung Simon Wiesenthals „in bedenkliche Nähe zur Partizipation rückt, wenn es echt ist“. Manfred Messerschmitt, deutsches Mitglied der Historikerkommission, wollte Montag eigentlich nach Zagreb fliegen, um Einsicht in das Original zu nehmen, das Waldheim als verantwortlich für Deportationen bezeichnet. Da tauchte plötzlich die Meldung auf, das Original sei verschwunden.
Manfred Messerschmitt blieb in Wien und bezeichnete in einer ersten Reaktion die ganze Sache als „äußerst nebulös“. Offiziell war er danach nicht mehr zu sprechen. Am Nachmittag schließlich machte sich Messerschmidt dann doch auf die Reise nach Zagreb. Kommissionsleiter Kurz: „Ich hoffe, er kommt mit einem Koffer voller Neuigkeiten zurück.“ Und die gesamte Wiener Journalistenszene führt sich auf wie ein aufgescheuchter Hühnerhof.
Daß das Originaldokument verschwunden ist, muß noch lange nicht heißen, daß das Telegramm gefälscht ist. Raimund Löw vom ORF-Studio Wien, der nach Zagreb gereist war und sich dort in den Archiven umsah, erklärte in einem Telefonbericht, daß „jugoslawische Archive nicht mit österreichischen zu vergleichen“ seien. Dort scheint es keine lückenlose Verzeichnisse über die vorhandenen Dokumente zu geben. Es stünden große Kisten mit Papieren herum und wer etwas brauche, der suche sich das eben heraus. Löw meinte, er könne sich gut vorstellen, daß Dusan Plenca, den er als seriösen und ernstzunehmenden Historiker bezeichnete, das Dokument irgendwann mal kopiert habe „und im Moment selbst nicht mehr wisse, wann genau und wo.“
Plenca scheint in Zagreb indessen so wie seine Wiener Historikerkollegen auf Tauchstation gegangen zu sein und läßt sich von seiner Frau am Telefon vertreten. In ersten Reaktionen äußerten sich österreichische Politiker äußerst vorsichtig und zurückhaltend zur Spiegel-Veröffentlichung. Es bleibe abzuwarten, wie die Historikerkommission, das Dokument bewerte. Diese hätte ihren Bericht ursprünglich Ende dieser Woche vorlegen sollen, hat aber schon angedeutet, daß sie wohl zumindest eine weitere Woche brauchen werde.
Die Aussprache mit Kurt Waldheim Ende voriger Woche hat nach Aussage eines Kommissionsmitglieds „nichts gebracht.“ Waldheim glänzte wieder einmal durch Erinnerungslücken und Gedächtnisschwund. Aber das ist ja nicht neu bei ihm. Und auch die Wiener scheint das ganze nicht weiter aufzuregen. Spiegel- Exemplare gab es Montag jedenfalls noch genug zu kaufen.
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