: „Wir fordern die Entlassung in die DDR!“
In der DDR-Opposition herrscht vor der Krawczyk-Ausreise in die Bundesrepublik alles andere als Resignation / Mehr als 1.000 Menschen am Montag Veranstaltung in der Bartholomäuskirche in Ost-Berlin ■ Aus Ost-Berlin S. Schönert
„Wolfgang Schnur ist da!“- Mehr als 1.OOO Menschen, die am Montag abend an einer Veranstaltung über die Situation der DDR- Opposition in der Bartholomäuskirche in Ostberlin erschienen sind, recken den Kopf nach hinten und blicken erwartungsvoll in Richtung Eingangsportal. Dann kommt er: Der etwa 4Ojährige Rechtsanwalt, der die Verteidigung der inhaftierten Regimekritiker übernommen hat, bewegt sich händeschüttelnd und unter tosendem Applaus durch das Kirchenschiff. Obwohl seine Mandanten Till Böttcher, Andreas Kalk und Bert Schlegel wegen ihres Auftretens am Rande der offiziellen Rosa-Luxemburg Demonstration vom Stadtbezirksgericht Lichtenberg zu jeweils einem hal ben Jahr Gefängnis verurteilt worden sind, herrscht in der Kirche alles andere als Resignation.
„Aufgrund der vorherigen Prozeßsituation blieb dem Gericht wohl keine Möglichkeit, als dieses Urteil zu fällen!“ erklärt Schnur diplomatisch und erntet lachenden Beifall. Danach spricht Schnur von „einigen Schritten in die richtige Richtung, die zu Lösungen für die Betroffenen führen“ würden. Mehr will er mit Rücksichtnahme auf seine Mandanten nicht erzählen. (Siehe Seite 1) Die Berichte über Solidaritätserklärungen aus aller Welt werden begeistert aufgenommen. „Die internationale Solidarität ist wichtig!“ erklärt ein führender Oppositioneller im Gespräch mit der taz, „aber noch viel wichtiger ist, daß es zum erstenmal eine Öffentlichkeit und ein Bewußtsein über diese Vorfälle in der DDR selbst gibt.“ In Quedlinburg hat ein Busfahrer, so wird berichtet, ein Plakat mit der Aufschrift „Freiheit für Krawczyk und Klier“ in seinem Fahrzeug deutlich sichtbar angebracht. In Rudolstadt geschah ähnliches, dort hatten mehrere Menschen ein gleichlautendes Schild aufgebaut. „Sowas passiert jetzt in der ganzen Republik!“ versichert der Mann.
Die DDR Bürger würden begreifen, daß man sich nicht alles gefallen lassen müsse. „Die Leute hier machen im Moment eine ganz wichtige Erfahrung: Der Staatssicherheitsdienst kann nicht Tausende von Menschen ins Gefängnis werfen. Das alles ist keine Angelegenheit der Szene mehr, das geht viel weiter!“, kommentiert er die Geschehnisse. „Der Samstag war für uns das einschneidende Datum.“
Vor über 2.3OO Menschen hatte der Ost-Berliner Bischof Forck eine eindeutige Erklärung zugunsten der Oppositionsbewegung verlesen. Das sei für viele Leute, die vorher unentschlossen und ängstlich waren, der Startschuß zum Handeln gewesen. „Die Kirche hat eigentlich keine große politische Macht im Staat,“ meint der Gesprächspartner, „aber wenn die ihre Räume zur Verfügung stellen und sich solidarisch verhalten, kommt eine Menge in Bewegung.“ Daß sich die Opposition in Gotteshäusern formiert, macht ihm keine Schwierigkeiten. „Das ist ein Kompromiß, den wir eingehen müssen.“ Gerade der Treffpunkt „Kirche“ würde die Breite der Bewegung ermöglichen, – vom gläubigen Gemeindemitglied über autonome Gruppen bis hin zu Punks.
Die Fürbittgottesdienste und Andachten sollen in den nächsten Wochen weitergehen. In über dreißig Städten der DDR finden mittlerweile solche Veranstaltungen statt. „Das hätten wir so nicht für möglich gehalten!“ sagt er und wundert sich noch immer ein bißchen. „Morgen ist in der kleinen Friedrichsfelder Kirche eine kleine Andacht!“ erklärt eine Frau am Mikrofon. Kurz zuvor hatte sich ein Vertreter der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerrecht“ von einer Veranstaltung in der Andreas Markus-Kirche distanziert. Dort sollte am Dienstag abend eigentlich ein Gottesdienst stattfinden, – weil die Kirche aber direkt an der Mauer liegt, wurde die Veranstaltung vom Staat verboten. „Die hatten wohl Angst, daß da tausend Leute über den Schutzwall hüpfen!“ witzelt der taz-Gesprächspartner, „dabei ist das das Letze, was wir wollen.“
Das Thema „Ausreise“ ist in der Opposition ein heißes Eisen. „Wir wollen hier bleiben und hier Politik machen!“ sagt er bestimmt. „Aber das Recht auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft ist ein Menschenrecht, das wir natürlich einklagen!“ Auf die Möglichkeit angesprochen, die Inhaftierten könnten in den Westen abgeschoben werden, meint er: „Das ist nicht unsere Position. Das wollen auch die wenigsten, die im Knast sitzen. Wir fordern die Entlassung in die DDR!“
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