: Kein Tschernobyl-Test in Waliser Uralt-AKW
Heftige Proteste der Öffentlichkeit bewegen die Betreiber des britischen Atomkraftwerks von Trawsynydd zur Absetzung des ihnen auferlegten Reaktortests / Die Atomaufsichtsbehörde (NII) senkt einfach ihre Sicherheitsanforderungen / Schließung bleibt jedoch tabu ■ Aus London Rolf Paasch
Die walisische Regionalverwaltung hatte die Evakuierungspläne schon aus der Schublade gezogen. Geschäfte und Schulen sollten am Tage des geplanten Experiments im benachbarten Atomkraftwerk von Trawsynydd geschlossen bleiben. Busse sollten die Kinder aus der Nähe des Reaktors in sichere Gefilde bringen. Doch dann hagelte es Proteste gegen den für den 12.Februar angesetzten Reaktorversuch, der so fatal an die tödlichen Experimente von Tschernobyl und Windscale erinnerte. Sie hatten damit begonnen, daß besorgte Techniker aus der Atomanlage im Januar die Presse über die geplante Notfallsimulation informiert hatten. Der 23 Jahre alte Atommeiler sollte heruntergefahren, das Kühlsystem abgeschaltet werden, um die Effektivität der natürlichen Zirkulation des kühlenden Gases zu demonstrieren. Auf die Pressemeldungen hin griff die Beunruhigung unter der Bevölkerung rapide um sich. Die Bauerngewerkschaft erklärte, sie habe noch genug von den Folgen der Tschernobyl- Wolke, aufgrund derer für über 300.000 Schafe noch jetzt ein Schlachtverbot besteht. Die walisische Lehrergewerkschaft protestierte bei der Elektrizitätsbehörde (CEGB) gegen den geplanten Versuch. Gemeinderäte riefen zu Protestveranstaltungen auf, die irische Regierung sah gar den EURATOM-Vertrag verletzt. Selbst Emlyn Williams predigte in seiner dem Reaktor benachbarten Gemeindekirche gegen die atomare Versuchung. Kurzum: „Trawsobyl“ stand nicht nur auf den Plakaten der Demonstranten vor den Reaktortoren, es war in Nord-Wales in aller Munde.
Nachdem der CEGB am Dienstag den geplanten Test noch als „im Prinzip sicher“ bezeichnet hatte, folgte jedoch bereits am Mittwoch die Kehrtwende: die Betreiber bliesen den Versuch wegen der heftigen Proteste ab und verschoben ihn auf einen „unbestimmten Termin“ in die Zukunft. Damit, so erklärte ein Sprecher der Atomaufsichtsbehörde (NII) der taz gegenüber, sei der Fall auch für sie abgeschlossen. Schließlich müsse jetzt nicht mehr über die Bewilligung des Experiments entschieden werden.
Doch was hier für die Atomaufsichtsbehörde abgeschlossen scheint, weist in Wirklichkeit auf einen der beunruhigsten Aspekte des nicht gerade unumstrittenen britischen Atomprogramms hin; nämlich auf die Tatsache, daß die britische Atomindustrie mit ihren Magnox-Reaktoren wie dem in Trawsynydd eine völlig veraltete Generation von Atommeilern betreibt, an deren Sicherheit erhebliche Zweifel bestehen. Es handelt sich hierbei um die ersten zivilen Atomkraftwerke der Welt, die in den sechziger Jahren als zivile Weiterentwicklung der militärischen Versuchsreaktoren von Windscale, heute Sellafield genannt, ans Netz gingen.
Mit ihren Graphitmoderatoren, die auch der RBMK-Unglücksreaktor von Tschernobyl hatte, würden sie heute vermutlich in keinem Land der Welt mehr den Sicherheitsanforderungen entsprechen. Ihre Gefährlichkeit liegt in der inhärenten Instabilität der Graphitmoderatoren begründet. Wenn sich die in den zur Kontrolle des Spaltungsprozesses im Reaktorkern befindlichen Moderatoren gespeicherte Energie aufgrund eines Fehlers (z.B. Luftzufuhr) entlädt, führt dies zu einer Kettenreaktion. Bei den Magnox- Reaktoren kommt noch hinzu, daß die Magnesiumummantelung sowie die Uraniumlegierung der Brennstäbe äußerst leicht entzündbar ist, wie das Feuer des damals noch luftgekühlten Versuchsreaktors von Windscale im Jahre 1957 eindrucksvoll bewiesen hat. Um diese Generation von Atomkraftwerken aus wirtschaftlichen Gründen für eine weitere Dekade Betriebsdauer zu lizensieren, hatte das „Nuclear Installation Inspectorate“ (NII) von den Betreibern nun den Beweis verlangt, daß eine solche Kettenreaktion selbst bei Abschalten der Anlage nicht eintreten werde, weil das Gas natürlich weiterzirkuliere und so eine Erhitzung des Reaktorkerns auch im Notfall verhindere.
Die Ähnlichkeit dieses Sicherheitstests – 23 Jahre nach Betriebsbeginn der Anlage – mit den folgenreichen Experimenten der Reaktormannschaften von Tschernobyl und Windscale waren es schließlich, die zu den beschriebenen Protesten und zur vorläufigen Absetzung des Tests führten. Doch statt nun über die Schließung der Magnox-Reakto ren nachzudenken, weil die im sogenannten „Bradwell-Report“ von der NII geforderte „Sicherheitsauflage Nr. 7“ nicht erfüllt werden kann, scheint die Aufsichtsbehörde nun plötzlich bereit zu sein, die Demonstration der natürlichen Gaszirkulation auch als „theoretisches Modell“ zu akzeptieren. Eine Beweisart, die sie vor den öffentlichen Protesten abgelehnt haben muß, sonst hätte die Elektrizitätsbehörde nie die kostspieligen Vorbereitungen zu dem Test auf sich genommen.
Beweisen läßt sich die bewußte Senkung der Sicherheitsstandards allerdings nicht. Der Schriftverkehr zwischen Atomaufsichtsbehörde und Betreibern ist nämlich, wie so ziemlich alles in der britischen Atomindustrie, geheim. Hinzu kommt, daß die NII ihre Kontrolleure allesamt aus den Reihen der Elektrizitätsbehörde rekrutiert. Mit ihrer Untätigkeit, so der Atomexperte und Greenpeace-Berater John Large der taz gegenüber, „hat die NII endgültig bewiesen, daß sie vom Wachhund längst zum Schoßhund der Atomindustrie mutiert ist.“
Wenn die Proteste der Bevölkerung in Wales nun die Absetzung des umstrittenen Reaktortests erreicht haben, so heißt dies nichts anderes, als daß die britische Atomindustrie unter Billigung der Atomaufsichtsbehörde gegenwärtig eine Generation von 18 veralteten Atomreaktoren betreibt, deren Sicherheitsüberprüfung sowohl der Öffentlichkeit als auch der Atomindustrie selber zu heikel erscheint, deren Schließung jedoch weiterhin kein Thema ist.
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