Der Streit um die Patentierung der Natur

■ Die BRD tritt in die Fußstapfen der USA: Dort sind mehr als 1.000 Patente auf belebte Natur vergeben / Tiere, Pflanzen und Mikro-Organismen in Konzernbesitz?

„Es läßt sich durchaus darüber streiten, ob Patentschutz das einzige und notwendige Mittel ist, um eine angemessene wirtschaftliche Verwertung von Forschungsinvestitionen zu gewährleisten“, formulierte die Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnik“ in ihrem Abschlußbericht letztes Jahr. Es wurde dann aber nicht gestritten. Denn die Abgeordneten wissen genauso gut wie die in der Bundesrepublik schon immer gehätschelte Chemische Industrie, daß der Patentschutz, wenn auch nicht das einzige, so doch das beste Mittel ist, um Forschungsinvestitionen rentabel zu verwerten. Denn Patente sichern den ErfinderInnen das Recht, darüber zu entscheiden, ob, wie und zu welchem Preis ihre Produkte erzeugt oder weiterverwertet werden können. Sie gewährleisten ihnen die totale Kontrolle über ihr Erfundenes.

Die Gentechnik-Enquetekommission hat deshalb die Bedenken gegen die seit langer Zeit geforderte Ausdehnung des Patentschutzes auch auf die „belebte Natur“ in ihren Bericht mit aufgenommen: „Das Patent ist zugeschnitten auf technische Produkte und Verfahren. Seine Ausdehnung auf Lebewesen begegnet grundsätzlichen Bedenken. Sie würde die Tiere selbst nur noch als technische Produkte des Menschen auffassen.“ Also wurde der Bundestag beauftragt, zu klären, ob und inwieweit die Ausdehnung des Patentgesetzes durchführbar und wünschenswert ist. Vor allem der zweite Absatz des zweiten Paragraphen des Patentgesetzes ist den Gentechnikbefürwortern ein Dorn im Auge. In ihm ist das Patentierungsverbot für Tierarten und Pflanzensorten, die im Sortenschutzgesetz aufgeführt sind, festgeschrieben. Deswegen soll er abgeschafft werden. Doch auch solange er noch in Kraft ist, sind der Patentierbarkeit der im Forschungslabor geschaffenen „Natur“ keine allzu engen Grenzen gesetzt, wie während der Anhörung des Rechtsausschußes am Mittwoch deutlich wurde.

Bereits 1986 hat das Deutsche Patentamt, dessen Präsident Heuser sich bei der Anhörung des Rechtsausschusses als glühender Verfechter der Ausdehnung des Patentschutzes erwiesen hat, eine aus Kartoffeln und Tomaten konstruierte Hybridart, die Tomoffel patentiert. Auch Mikroorganismen sind seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu einem Tollwut-Virus weitgehend problemlos patentierbar.Interessanter noch ist aber die 1986 erfolgte Patentierung einer neuen Kamille-Pflanze. Patentiert wurden in diesem Fall nämlich nicht nur das Vermehrungsgut für die Pflanze, sondern auch die Verfahren für die Weiterverarbeitung der Kamilleblüten zu einem Heilmittel sowie dieses Heilmittel selbst.

Genau davor warnen die KritikerInnen der Ausweitung des Patentschutzes auf Pflanzen und Tiere: Da nicht nur die Pflanzen und Tiere selbst, sondern auch die durch sie zu gewinnenden Endprodukte wie Früchte, Gemüse, Blätter, Milch etc. patentiert werden können, wächst die Kontrolle der Landwirtschaft durch die Che mische Industrie enorm. Patentinhaber haben nämlich nicht nur die Möglichkeit, teure Lizenzen zu vergeben, sie können die Benutzung ihrer patentierten Erfindungen auch nach Belieben versagen. Gegenwärtig ist es dagegen noch so, daß Züchter ihre Pflanzen zwar durch Aufnahme in ein vom Bundesamt für Sortenschutz erstelltes Verzeichnis in gewissem Umfang schützen und sich damit Gewinne sichern können, daß das geschützte Vermehrungsmaterial für diese Sorten aber grundsätzlich frei zugänglich ist. Daß die Kamillenvariante überhaupt patentiert werden konnte, liegt daran, daß Kamille in dem Sortenverzeichnis nicht aufgeführt ist. „Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen dürfen nicht als Eigentum Einzelner betrachtet werden, sondern müssen als Gemeineigentum für alle erhalten bleiben“, bringen die Grünen die Position der Kritiker auf einen Punkt.

Das Bundesjustizministerium wollte es genau wissen: Wie Tierzucht und Pflanzenanbau in der Landwirtschaft Beschäftigten sich die wenigsten Gedanken über rechtliche Veränderungen gemacht haben oder diese sogar ausdrücklich ablehnen. Der Druck auf den Gesetzgeber, das wurde auch auf der Anhörung des Rechtsausschusses offenbar, kommt von anderer Seite. Der Vertreter des Verbandes der Chemischen Industrie warnte die Abgeordneten davor, daß die bundesdeutsche Industrie ihre Investitionen im gentechnischen Sektor in anderen Ländern tätigen müsse, wenn hierzulande kein Patentschutz gewährt werden könne: „Die Bundesrepublik ist schließlich kein Stern im Weltall, sondern befindet sich in wirtschaftlicher Konkurrenz zu den USA.“ Und dort sei aufgrund neuerer Gesetzgebung und Rechtsprechung die Patentierung von gentechnisch hergestellten Lebewesen und Pflanzen möglich. Aus den USA stammen auch die Zahlen, die die Folgewirkungen dieser Patentierungsmöglichkeiten zeigen: Von den dort bis 1986 1.200 zugelassenen Patenten für Produkte aus der „belebten Natur“ halten 15 Unternehmen mehr als die Hälfte. Ein Drittel aller Patente gehört den fünf Chemiegiganten Upton, Sandoz, Royal Dutch Shell, Luprizol und ITT. In den USA haben auch die Farmer bittere Erfahrungen mit den Konzernen machen müssen. Sahen die dort vor dem 1970 beschlossenen „Plant Variety Protection Act“ gültigen Bestimmungen vor, daß Landwirte aus dem gekauften Saatgut selber neue Sorten züchten dürfen (das sog. Landwirteprivileg) haben seitdem mehrere Saatgutkonzerne eine derartige Weiterverwendung patentierten Vermehrungsmaterials unterbunden. Der Industruialisierungs- und Konzentraionsprozeß, der sich in der Landwirtschaft schon seit langem abzeichnet, der durch Entwicklungen wie Hochertragsweizen be reits beschleunigt wurde, kann durch die Gentechnik und die Patentierung der neu konstruierten Pflanzen, Tiere und Verwertungsverfahren zu einem Abschluß gebracht werden. LandwirtInnen sind dann keine Bauern mehr, sondern vollkommen von der Chemischen Industrie abhängige LizenznehmerInnen. Dieser, auf dem Hearing des Rechtsausschußes von der Grünen Christa Nickels skizzierten Vision setzte der Präsident des Deutschen Patentamtes eigene Zahlen entgegen. Über 80 Prozent aller heutigen Patente würden von unabhängigen ErfinderInnen eingereicht. Die alle Patente umfassende Zahl ist allerdings für die Patentverteilung gentechnischer Produkte nicht aussagekräftig: Die Forschungsinvestitionen in diesem Bereich sind so hoch, daß sie selbst nicht von mittelständischen Unternehmen, geschweige denn von unabhängigen ForscherInnen gezahlt werden können. Die Entwicklung auf dem Arzneimittelsektor zeigt, daß lediglich die großen Konzerne oder von ihnen abhängige kleinere Unternehmen überhaupt den Einstieg in die Forschung geschafft haben.

Unklar ist angesichts des rasanten, von wenigen Hemmnissen aufgehaltenen Fortschritts der GentechnologInnen auch, wo die Entwicklung enden wird. „Die Patentierung von Tierarten und Diagnoseverfahren für Tiere“, warnte der Münsteraner Professor Lukes beim Hearing des Rechtsausschusses, „ist mit Sicherheit ein erster Schritt zur Patentierung auch menschlicher Gene oder gentechnischer Diagnoseverfahren am Menschen.“ Der Bonner Experte Dr.Sundrum konkretisierte diese Warnung, indem er Beispiele anführte, an deren Patentierung die Industrie ein Interesse haben könnte: Der Einbau von menschlichen Genen, die Wachstums- oder andere Hormone produzierten, in Tiere ist ein Projekt, an dem Wissenschaftler arbeiten und das zu patentieren im Erfolgsfall recht gewinnversprechend wäre. Dem mochte der Vertreter des Verbandes der Chemischen Industrie nicht widersprechen; „ethisch bedenklich“ schien ihm auch nur die Einsetzung tierischer Gene beim Menschen. en