: Fern in der Türkei, wo der Giftmüll brennt....
Giftiger Sonderabfall aus der Bundesrepublik wurde als billiger Brennstoff an eine türkische Zementfabrik geliefert / Zu den giftigen Bestandteilen zählen auch Verbindungen, aus denen unter bestimmten Bedingungen das Seweso-Gift Dioxin entstehen kann ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Hochgiftiger Sonderabfall, dessen Verbrennung in der BRD nicht genehmigt ist, wurde in die Türkei transferiert und im September vergangenen Jahres versuchsweise als Brennstoff in der Zementfabrik Göltas in der südtürkischen Stadt Isparta verfeuert.
Exporteur der heißen Ware, die unter dem harmlosen Namen EBS „Ersatzbrennstoff“ geliefert wird, ist die Firma Weber Industrie- und Städtereinigung mit Sitz im baden-württembergischen Salach. Notdürftig mit einer Plane bedeckt lagern weitere 1.500 Tonnen des stinkenden schwarzen Stoffes auf dem Firmengelände der Zementfabrik Göltas.
EBS setzt sich aus hochgiftigen industriellen Rückständen zusammen. Unter den 168 Industrierückständen, die sich im Brennstoff finden, sind nicht nur Blei, Chrom und Kupfer, sondern auch das hochgiftige Cyanid und Chlorverbindungen wie Dichlormethan und Dichlorethylen – jene Chlorverbindungen, bei deren unsachgemäßer Verbrennung das Seveso-Gift entsteht: Dioxin.
Die deutschen Behörden wußten vom Transfer der heißen Ware, sie haben die Exportgenehmigung erteilt. Dem zuständigen Landratsamt Göppingen lagen die Ergebnisse der chemischen Analyse vor. Dennoch hat alles seine bürokratische Ordnung.
In der BRD unterliegt Entsorgung und Transport des melde pflichtigen Sonderabfalls verschärften Sicherheitsbestimmungen. In der Türkei herrschen demgegenüber geradezu paradiesische Zustände zur „Entsorgung“ des Giftmülls. Ohne Kenntnis der chemischen Zusammensetzung des Stoffes bescheinigte die Industrie- und Handelskammer Isparta am 12.12.1986 dem Landratsamt Göppingen, daß „die Zementfabrik Göltas jeglichen Brennstoff verfeuern kann“. Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer war zum damaligen Zeitpunkt Sevket Demirel – der Eigentümer der Zementfabrik und Bruder des konservativen Oppositionspoliti kers Süleyman Demirel. Tatsächlich verfügt die Zementfabrik noch nicht einmal über eine Filteranlage. Doch den Betriebsleiter der Zementfabrik, Yilmaz Kasap, lassen Begriffe wie Cyanid und Dioxin ohnehin kalt: „Die Deutschen sind übersensibel in Bezug auf Umweltverschmutzung. Die haben sogar eine Partei, die sich Grüne nennen. Wir sind demgegenüber ein zurückgebliebenes Entwicklungsland“, meldete er sich in der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet zu Wort. EBS ist billig. Gerade zehn Mark pro Tonne zahlt der Zementunternehmer der Firma Weber, während eine Tonne heimischer Kohle umgerechnet 100 Mark kostet. Die Verantwortlichen in der Türkei hüllten sich am Wochenende in Schweigen. „Unser Betriebsleiter ist in der BRD und wir sind nicht befugt, irgendwelche Auskünfte zu geben“, antwortete ein Sprecher der Firma Göltas auf unsere telefonische Anfrage. Über den Zweck der „Geschäftsreise“ wollte man sich ebenfalls nicht äußern. Telefonnummer und Anschrift des in der BRD weilenden Betriebsleiters seien ihnen nicht bekannt.
Auch die türkische Umweltbehörde ist auskunftsunwillig. Auf Anfrage der taz ließ der Staatssekretär Muzaffer Evirgen mitteilen, daß eine von der Behörde bei der technischen Universität Ankara in Auftrag gegebene Analyse just eingetroffen sei. Man wolle sie zunächst prüfen. Allen anderen Mitarbeitern der Umweltbehörde ist untersagt worden, Stellungnahmen zum deutschen Sonderabfall abzugeben.
Bleibt zu hoffen, daß die türkischen Behörden angesichts der Dioxin-Gefahr schneller handeln als nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.
Damals brauchten sie eineinhalb Jahre, bis der radioaktiv verseuchte Tee der 86er Ernte aus dem Verkehr gezogen wurde. 40.000 Tonnen des hochgradig verseuchten Tees waren bis zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits verbraucht worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen